Die Erfindung des Jazz im Donbass
geb ihm den Hörer! Für Sie! – und erleichtert reichte er das Handy dem Grauen.
Der Graue wurde plötzlich ebenfalls fahrig, seine Augen wanderten hin und her, unbeholfen nahm er das Handy in seine gepflegten Anwaltsfinger.
– Ich höre, Marlen Wladlenowitsch, – zunächst versuchte er noch, sich munter und unabhängig zu geben, seine Stimme machte aber schnell schlapp, und die Intonation mutierte zu einem hysterischen Winseln. – Hier! Alles in Ordnung, Marlen Wladlenowitsch! Sie wollen nicht, Marlen Wladlenowitsch. Sie bocken, Marlen Wladlenowitsch. – Schura hob unzufrieden die Brauen. – Wie ich schon sagte – die sind nicht einverstanden, Marlen Wladlenowitsch. Was? Sie sagen, das ist eine Bürgerinitiative. Die lokale Gemeinde, meinen sie. Die sagen, wir hätten kein Recht. Was? Natürlich! Ich habe ihnen die Dokumente gezeigt! Marlen Wladlenowitsch, ich werde das lösen, na klar. Ich werde alles erledigen, machen Sie sich keine Sorgen. Genau. Ich weiß es noch nicht. Vielleicht werden wir uns mit ihnen einigen, Marlen Wladlenowitsch. Was? Verpissen? Verstanden, Marlen Wladlenowitsch. Alles klar, keine Sorge! Verzeihen Sie die Unannehmlichkeiten. Ich erledige das. Alles! Ja! Ebenfalls, Marlen Wladlenowitsch, ebenfalls!
Der Graue legte auf und gab Nikolaitsch das Handy zurück, seine Finger waren blutleer. Aus der Manteltasche holte er ein schneeweißes Taschentuch hervor und wischte sich mit zitternder Hand den schweren Bauernschweiß ab. Dann mühte er sich lange damit ab, das Tuch zurück in die Tasche zu stecken. Immer noch schweigend nahm er Nikolaitsch den Aktenkoffer ab. Schura schaute sich das alles mit einem für mich unverständlichen Lächeln an.
– Also, Folgendes, – sagte der Graue zu Schura. Die Finger, mit denen er den Griff der Aktentasche umklammerte, waren schon ganz blau vor Anspannung. – Ich habe Sie gewarnt. Sagen Sie nicht, ich hätte Sie nicht gewarnt. Sie haben genau vierundzwanzig Stunden Zeit. Morgen werden wir das alles abreißen. Falls Sie den Mitarbeitern städtischer Behörden Widerstand leisten, werden Sie zur Verantwortung gezogen.
Er holte wieder das Taschentuch heraus und fing an, sich mit schnellen und nervösen Bewegungen den Nacken abzutrocknen. Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um und ging zum Auto. Nikolaitsch trabte hinterher, aber bevor er in den Jeep sprang, wandte er sich kurz um und warf uns einen seltsam drohenden Blick zu. Als ob er etwas sagen wollte, es aber nicht hervorzubringen wagte. Oder als habe er beschlossen zu warten.
– So, – sagte der Versehrte, – da sind sie, die echten Probleme.
7
Er wusste, was er tat. Er hatte alles richtig berechnet, er wusste, dass ihn seine Freunde nie hängen lassen und ihm zu Hilfe kommen würden. Denn Geschäft ist Geschäft, aber das Blut, das sie in Kämpfen gemeinsam vergossen hatten, auf Straßen und Fußballplätzen, das stärkte und schweißte zusammen, auch wenn es längst nicht mehr ums Geschäft ging. Die Stimme des Blutes ist viel mächtiger als die Stimme des gesunden Menschenverstands, dachte sich der Versehrte, und er irrte sich nicht. So geschah es am nächsten Tag, dass die ganze Brigade, alle, die ich von klein auf kannte, aus ihren Löchern, Läden, Büros und Märkten gekrochen kamen, um ihre Freunde zu unterstützen, wie in den guten alten Zeiten. Aber das war erst am nächsten Tag.
Kaum waren Nikolaitsch und der Graue verschwunden, fuhren Schura und ich in die Stadt, am Wohnheim der Berufsschule stieg ich aus, ging durch die Höfe, in denen die schwirrende Oktoberluft stand, und kam in ein stilles leeres Sträßchen. Nachdem ich es durchquert hatte, stand ich vor der Mauer des Krankenhauses. Weil du immer zurückkehren musst, vor allem wenn jemand auf dich wartet, dachte ich bei mir und trat durch das Tor. Die Gebäude waren still, durch die Höfe flogen Spinnwebfäden. Die Kranken in den Fenstern glichen Fischen im Aquarium.
*
Die Krankenschwestern erzählten mir gleich von Olga. Sprachen mit unverhohlener Abneigung in der Stimme, verdammten ihren unverträglichen Charakter, ihre schlechten Manieren, ihre mangelnde Disziplin. Da sie aber nicht wussten, in welchem Verhältnis ich zur Kranken stand, ließen sie sich dann nicht weiter darüber aus, seufzen nur und erwarteten gar nicht, dass ich sie verstünde.
*
Olga lag allein im Zimmer, vielleicht hatten es die barmherzigen Schwestern einfach nicht über sich gebracht, jemanden dazuzulegen. Sie schlief in ihrem Bett und
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