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Die Erfindung des Jazz im Donbass

Die Erfindung des Jazz im Donbass

Titel: Die Erfindung des Jazz im Donbass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serhij Zhadan
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Abenteuern in den Bordellen von Odessa und von der gelben bessarabischen Sonne, die die Apfelplantagen ausbleicht wie Kinderhaar. Nach einer Woche entschied sich die Mannschaft der »Mesopotamia« zur Flucht. In der Nacht lichteten die Matrosen den Anker, verließen den ungastlichen Hafen von Liverpool und folgten ihrer vorgesehenen Route. Den nächsten Halt legte der Dampfer erst in Marseille ein.
    Und hier passierte Folgendes: Nachdem sie an Land gegangen waren, um ihre Vorräte aufzufrischen, versuchten die Matrosen der »Mesopotamia«, auf dem Markt eine Partie Ochsenfleischkonserven loszuschlagen, die sie schon mehrere Monate im Frachtraum mitführten. Der Zoll, dem die vom Dampfer stammende Schmuggelware zufällig in die Hände fiel, wollte die Übeltäter festnehmen. Die Griechen aber fassten sich ein Herz, wehrten sich und kämpften sich zurück zum Schiff, ihre verwundeten Kameraden auf den Armen. Die »Mesopotamia« musste Marseille dringend verlassen. Die Reise näherte sich ihrem Ende, und abends blickten die Frauen gespannt in die Ferne, die sich mit afrikanischer Hitze, Aufregung und Unruhe füllte.
    Kurz darauf erreichte der Dampfer das Schwarze Meer, ließ die von der Sonne goldene Krimküste links liegen und fuhr in die aufgewühlten und bitteren Asowschen Wasser ein. Anfang April legte die »Mesopotamia« in Mariupol an.
     
    – Meine Mutter war oft in Mariupol, – unterbrach mich Olga wieder. – Dienstlich.
    – Was war sie von Beruf?
    – Eisenbahnerin, – erklärte Olga. – Sie war fast nie zu Hause. Ich kann mich überhaupt nur schlecht an sie erinnern, sie ist früh gestorben. Ich weiß noch, dass sie es immer eilig hatte, dieses Gefühl, dass sie in ein paar Minuten wegfährt und ich wieder lange auf sie warten muss, daran kann ich mich gut erinnern. Als ganz kleines Kind bin ich zum Bahnhof gerannt und habe mir die Züge angesehen. Seitdem sind Eisenbahnwaggons für mich ganz schreckliche Orte, wenn du zufällig hineingerätst, kommst du vielleicht nie wieder raus. Wovor hattest du als Kind am meisten Angst?
    – Vor den Amis, – antwortete ich nach kurzem Nachdenken.
    – Wieso vor den Amis? – fragte Olga erstaunt. – Die Amis sind doch in Ordnung. Sie haben den Jazz erfunden.
    – Was weiß ich. Als Kind wusste ich nichts von Jazz.
    – Und ich hatte Angst vor Zugbegleitern, – sagte Olga. – Die kann ich immer noch nicht ausstehen. Genauso wenig wie Schaffner. Und Buchhalter.
    – Hör mal, – sagte sie nach einer Weile. – Kannst du mich morgen hier rausholen?
    – Klar.
    – Vergiss es aber nicht, – bat Olga.
    – Nein, ich vergess es nicht.
    – Gut, sagte sie. – Gut.
     
    Der Hafen von Mariupol war, wie immer um diese Jahreszeit, voller türkischer und marokkanischer Schiffe und machte mit seiner feierlichen Vielstimmigkeit einen angenehmen Eindruck auf die Schwestern. Die Straßenmärkte und engen Läden waren gefüllt mit guter, billiger Ware aus Kleinasien und Westeuropa, und die Hafenspeicher bargen Schätze aus der ganzen Welt. Hier, in den Räumlichkeiten des Bahnhofsrestaurants, unterschrieben die Abrahams-Sisters einen Vertrag über die Durchführung von Konzerten mit geistlicher Musik für die Arbeiter der Metallurgiefabriken der Neurussischen Kompanie und der Bergwerke der Französisch-Russischen Gesellschaft. Die Missionarinnen nahmen im bescheidenen, aber gemütlichen Hotel »König David« Wohnung. Der Erinnerung Sarah Abrahams’ nach gaben sich die lokalen Agenten, die wohl zum ersten Mal mit nordamerikanischen Negern zu tun hatten, Mühe, die Frauen mit allem Notwendigen zu versorgen. Die Schwestern erwiesen sich als fleißig und dem neuen Publikum zugewandt. Schon die ersten Auftritte, die in Arbeitervereinen der Metallurgiebetriebe stattfanden, hatten großen Erfolg und sicherten den Schwestern die Liebe und Anerkennung der Arbeiter. Die Einheimischen besuchten die Konzerte des Ensembles zahlreich und nahmen die überseeischen Spirituals mit großem Interesse und Enthusiasmus auf. Die Schwestern aber machten sich voller Staunen daran, die einheimischen Bräuche und kirchlichen Praktiken zu erforschen, in denen Elemente orthodoxer christlicher Strömungen mit denen nichtkanonischer Religionen verschmolzen. Die bizarre Vereinigung von unterschiedlichen Glaubensrichtungen und Schriftkulturen, die hier als Folge glücklicher Umstände und der guten Lage der Handelshäfen entstanden war, wurde für die Abrahams-Sisters zu einer ergiebigen Inspirations- und

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