Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Erfindung des Jazz im Donbass

Die Erfindung des Jazz im Donbass

Titel: Die Erfindung des Jazz im Donbass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serhij Zhadan
Vom Netzwerk:
lächelte sorglos im Schlaf. Sie trug zerrissene Levis und eine Baseballjacke. Das rechte Hosenbein war bis zum Knie aufgeschlitzt, der Gips am Fuß sah aus wie ein neuer Turnschuh. Ihre Haare brannten in der Nachmittagssonne, und ihre Haut verschmolz mit den weißen Laken wie Milch auf Reispapier. Auf den Stühlen und auf dem Boden standen Blumen in wassergefüllten Einmachgläsern. In den Blumen summten herbstlich müde und lasch Wespen und Schmetterlinge. Ich setzte mich vorsichtig auf die Bettkante. Am Bett lagen Orangen, auf dem Boden ein offenes Buch, aber das Telefon ließ Olga selbst im Schlaf nicht aus der Hand. Vor den Fenstern standen Apfelbäume, von Kranken und Schwestern so massiv geplündert, dass die Zweige trocken im leichten Wind zitterten. Plötzlich löste sich ein winziger Apfel von einem Zweig und dotzte auf das Fensterblech. Olga öffnete die Augen.
    – Hermann? – fragte sie. – Was machst du denn hier?
    – Dich besuchen. Wer hat dir denn so viele Blumen gebracht?
    – Niemand, – antwortete sie, dachte einen Moment nach und beschloss dann, aufrichtig zu sein. – Ich habe die Schwestern gebeten, sie zu besorgen. Damit du denkst, dass mir jemand Blumen bringt.
    – Hab ich auch gedacht.
    – Gut, – sagte Olga. – Sehr gut.
    – Wie geht’s dem Fuß? – fragte ich.
    – Ganz gut. – Olga sah nach, ob eine SMS gekommen war, und legte das Telefon dann zur Seite. – Ich wollte schon gestern entlassen werden, weil es schon wieder geht. Was haben die für einen Aufstand gemacht!
    – Sie sagen, du hättest den Aufstand gemacht.
    – So so, – sagte Olga beleidigt. – Als hätte ich sonst nichts zu tun. Heute bleib ich noch liegen, aber morgen geht’s nach Hause. Ein Haufen Arbeit wartet, und ich lieg hier rum.
    – Sag wenigstens, wie es passiert ist.
    – Ich wollte die Tür zumachen. Die haben mich so angenervt!
    – Was wollten die überhaupt?
    – Was weiß denn ich. – Olga schnappte sich wieder ihr Telefon, drehte es in den Händen und legte es zurück. – Sie haben alles Mögliche gefragt, rumgeschnüffelt, ekelhaft, richtige Widerlinge. Und dann hat der eine von ihnen auch noch eine Glatze an der Seite.
    – Wie – an der Seite?
    – Eben, nicht in der Mitte wie normale Leute, sondern an der Seite, überm Ohr. Außerdem fragt er dauernd nach, als würde er schlecht hören, und seine Glatze kriecht dir irgendwie in die Seele. Da hab ich es nicht mehr ausgehalten und sie rausgeschmissen.
    – Sorry, – sagte ich, – dass du wegen mir so viele Probleme hast.
    – Schon gut, – antwortete Olga. – Ich bin selbst schuld. Zuerst war ich total sauer auf dich, dann hab ich mich wieder eingekriegt. Gut, dass du gekommen bist. Bleibst du ein bisschen?
    – Wenn ich darf.
    – Natürlich. Siehst du, meine Verwandtschaft hat mir einen Haufen Orangen mitgebracht, ich fühl mich, als ob es Neujahr wäre.
    – Wieso Neujahr? – fragte ich.
    – Als Kind habe ich zu Neujahr immer Orangen bekommen. Oder wenn ich erkältet war und zu Hause bleiben musste. Also fühle ich mich wie zu Schulzeiten. Komm, hilf mir, das alles aufzuessen.
    – Gerne, – stimmte ich zu und begann, Orangen zu schälen.
    Die Orangen waren warm wie Lampen. Der Saft spritzte, und sofort begannen die Wespen über mir zu kreisen. Olga nahm die Orangenstücke, der Saft rann ihr über die Finger. Und weil sie lange Finger hatte, rann er unendlich lange, bis sie die Tropfen mit einer leichten Bewegung abschüttelte.
    – Hör mal, – sagte sie, – ich weiß, dass Schura da was organisiert. Auf dem Flugplatz.
    – Na und?
    – Wirst du auch dabei sein?
    – Na klar.
    – Pass auf ihn auf, ja? – bat mich Olga.
    – Wieso muss man auf ihn aufpassen?
    – Er ist in letzter Zeit so komisch. Vielleicht wird er alt.
    – Vielleicht. – Ich widersprach nicht.
    – Bleib in seiner Nähe, ja?
    – Ja.
    – Und pass auch auf dich selbst auf, – bat Olga.
    – Schon gut. Was kann schon passieren?
    – Nichts, hoffe ich, – sagte sie. – Lies mir was vor, – bat sie plötzlich.
    Ich hob das Buch vom Boden auf. Es war ein Lehrwerk über Buchhaltung. Die Seiten waren reichlich mit Kaffee übergossen und mit Bleistift durchgestrichen, als ob jemand alles neu schreiben wollte.
    – Ist das interessant? – fragte ich Olga.
    – Ich hab mitgenommen, was im Büro war, – erklärte sie.
    – Oh, – fiel mir ein, – der Priester hat mir ein Buch geschickt. Soll ich daraus was lesen?
    – Der Priester? – Olga fing an sich

Weitere Kostenlose Bücher