Die Erfindung des Jazz im Donbass
Aufstellung, trat dann aber plötzlich zur Seite, und Prochor flog mit kämpferisch vorgerecktem Kopf an ihm vorbei. Wendete und warf sich in die andere Richtung, auf Arkadij, sprang ihm einfach in die Arme, so dass sich schließlich beide auf dem warmen Asphalt wiederfanden und darauf herumrollten wie Kinder auf einem Sandstrand. Dabei hielt Arkadij Prochor an der Kehle gepackt, um ihm die Luft abzudrücken, und Prochor schlug Arkadij mit der flachen Hand auf die Ohren, um ihn taub zu machen.
Wie immer trat die gewollte Wirkung ein. Die verängstigten Bausoldaten hielten den Atem an, um die Drachen nicht zu wecken und bloß nicht die Aufmerksamkeit dieser zwei auf sich zu lenken. Auch Nikolaitsch verlor die Nerven, obwohl das alte Arschloch doch eigentlich alle hiesigen Tricks kennen musste, gelblich grün stand er da, als trüge nun auch sein Gesicht Tarnflecken. Die Traktoristen lugten wachsam aus ihrer Kabine und fieberten innerlich mit den Kämpfern. Weil er plötzlich merkte, wie man ihn hier verachtete, was für einen Clown diese Zigeuner mit ihren abgestoßenen Mercedes aus ihm machten, spuckte der Graue schwer auf den Asphalt und warf seinen Aktenkoffer von einer Hand in die andere.
– Es reicht, – sagte er ruhig, aber so, dass alle ihn hörten. – Fickt euch. Ich wollte alles friedlich machen, aber jetzt könnt ihr euch ficken. Ihr wisst gar nicht, wie ihr euch ficken könntet, habt überhaupt keine Ahnung. Und du, Wichser, – zischte er persönlich Nikolaitsch zu, – kannst dich aufhängen. Kapiert? Häng dich auf, du Wichser.
Er machte kehrt und zwängte sich in den Jeep. Das Auto fuhr los, beschrieb eine scharfe Kurve und verschwand hinter dem Hangar. Die Soldaten trippelten schweigend und mit niedergeschlagenen Augen zurück zum Laster. Warfen zuerst die Spaten auf die Ladefläche. Dann sprangen sie selbst auf und waren bald ebenfalls um die Ecke verschwunden.
Es wurde ganz still. Nur Arkadij und Prochor rangen, auf dem Asphalt sitzend, nach Luft. Nikolaitsch drehte sich zu uns um, warf jedem in der Runde einen langen Blick zu und blieb plötzlich an Ernst hängen. Aus irgendeinem Grund gerade an Ernst, der ihm doch überhaupt nichts getan hatte, sondern hier nur einfach mit seinen Freunden herumstand und die Zeit totschlug. Aber Nikolaitsch sah ihn an, und Ernst fing diesen Blick auf und schaute zurück. So standen sie und begannen, alles um sich herum zu vergessen. Niemand schenkte ihnen besondere Beachtung – Pascha half Arkadij und Prochor beim Aufstehen, Bormann schaute sich Anerkennung heischend nach seinen Leuten um, auch der Versehrte sprach mit jemandem, nur ich – ich bemerkte, wie sie sich ansahen, wie sie erstarrten wie Hunde vor dem Kampf, sich gegenseitig die Augen ausstachen, als sei die Zeit für sie stehengeblieben und als drehe sich alles hier nur um sie beide, als müssten sie unter sich ausmachen, wie die Sache zu Ende ging.
Man konnte sehen, was Ernst dachte. Er dachte: Es wird etwas Schlimmes passieren, es wird auf jeden Fall etwas sehr Übles passieren. Noch glauben alle, dass es vorbei ist, dass wir davongekommen sind, aber nichts da. Er kannte dieses Gefühl von Gefahr sehr gut. Man konnte ihr nicht entgehen. Was bleibt, ist dem Schicksalstier in die Augen sehen und warten, bis es auf dich zukommt, dich mit seiner Tierschnauze beschnüffelt und weiterschleicht, Angst und Gestank zurücklassend. Ernst erinnerte sich schnell, nach einem kurzen Moment, daran, wann er den fauligen Atem großer Unannehmlichkeiten schon einmal gerochen hatte. Erinnerte sich an das Gefühl der Ausweglosigkeit, das in den Lungen sitzt, erinnerte sich an die Angst tief drinnen, die anschwillt wie das Märzwasser im Fluss. Erinnerte sich auch an das Wichtigste – man muss aushalten, durfte den Blick nicht abwenden. Dann wird alles gut, dann renkt sich alles ein, Hauptsache, sich auf das Schlimmste gefasst machen.
Auch was Nikolaitsch dachte, konnte man sehen. Nikolaitsch dachte: Jetzt richte ich alles, ich schaffe es noch, alles zu richten. Während sie hier so spöttisch und verächtlich über ihn lachten, während sie ihn vor dem Grauen erniedrigten, vor den Jungs aus der Kaserne, die er aufgrund einer Absprache mit ihrem Kommandeur hergebracht hatte, dachte er die ganze Zeit nur eins: Das mache ich noch, das richte ich noch. Was er richten wollte, wusste Nikolaitsch selbst nicht. In den letzten beiden Tagen hatte sich sein Leben so verkompliziert, dass er nicht wusste, wo
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