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Die Erfindung des Jazz im Donbass

Die Erfindung des Jazz im Donbass

Titel: Die Erfindung des Jazz im Donbass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serhij Zhadan
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genau wie gestern, der Graue, munter kletterte er auf den Asphalt, den Aktenkoffer in der Hand und schloss geschäftsmäßig den Knopf seines Sakkos. Seine Geschäftsmäßigkeit war jedoch irgendwie aufgesetzt – er machte nicht einmal die Tür des Jeeps hinter sich zu, wie um sich den Rückweg nicht zu verbauen. Und auch die Soldaten, die sie mitgebracht hatten, sahen nicht besonders kämpferisch aus. Sie sprangen ebenfalls auf den Asphalt und hielten sich im Rücken des Grauen, der sich zu ihnen umsah und nicht verstand, warum sie sich hinter ihm versteckten.
    – Schura, – fragte ich den Versehrten, – was jetzt?
    – Weiß nicht, – gab Schura zurück. – Wir werden sehen.
    – Sie haben doch eine Anordnung, einen Beschluss der Staatsanwaltschaft.
    – Weißt du, – sagte Schura darauf, – vielleicht haben sie gar keinen Beschluss.
    – Was soll das heißen – haben keinen?
    – Das was ich sage, – antwortete der Versehrte, – sie haben keinen. Die bluffen nur.
    Der Graue kam näher, blieb aber in einiger Entfernung stehen. Nikolaitsch rannte hinter ihm her. Und hinter Nikolaitsch stellten sich die Bausoldaten in ihren ungeputzten Armeestiefeln auf. Ausdrucksvoll und irgendwie theatralisch drehte sich der Graue zu Nikolaitsch um und begann zu schreien, ohne ihn überhaupt anzusehen. Nikolaitsch schrie zurück. So unterhielten sie sich eine Weile schreiend, wobei sie uns aus den Augenwinkeln Blicke zuwarfen, bis endlich einem von ihnen aufging, dass wir sie nicht hören konnten wegen des laufenden Traktor-Motors. Als er das bemerkt hatte, wurde der Graue vor Wut und Peinlichkeit ganz rot, und Nikolaitsch wedelte mit den Armen wie ein Huhn. Schließlich hatten auch die Traktoristen verstanden, was man ihnen durch Winken zu verstehen geben wollte, und stellten den Motor ab.
    – Nikolai Nikolaitsch. – Der Graue hüstelte und begann von vorne, jetzt sprach er für das Publikum. – Was tun Unbefugte hier auf dem Objekt? – Er wedelte mit dem Aktenkoffer in unsere Richtung.
    – Ist mir nicht bekannt! – erstattete Nikolaitsch militärisch Meldung und schlug die Hacken seiner Turnschuhe zusammen.
    – Konfrontieren Sie die Genossen mit dem Sitzungsbeschluss und beginnen Sie die Demontage, – befahl der Graue.
    – Jawohl, – antwortete Nikolaitsch, dem der Schweiß in Strömen rann und auf dessen Gesicht sich rote Flecken zeigten.
    Schnell öffnete der Graue den Aktenkoffer, holte ein Papier heraus und hielt es Nikolaitsch hin. Nikolaitsch schluckte schwer an der trockenen Herbstluft, die ihm in der Kehle steckte, und ging auf uns zu. Dann wusste er nicht weiter. Wen sollte er mit dem Sitzungsbeschluss konfrontieren – Ernst, der ja als offizieller Mitarbeiter des Objekts galt, oder den Versehrten, der in keiner offiziellen Beziehung zum Objekt stand, einem aber jederzeit eins überbraten konnte, oder doch den Zigeunern, die Nikolaitsch nicht persönlich kannte, die er aber fürchtete. Unsere Truppe schaute ihn an und konnte sich das Lachen nicht verbeißen. Nikolaitsch spürte das und geriet noch mehr ins Schwitzen. Nach einer gewissen Pause streckte Pascha gebieterisch die Hand aus. Nikolaitsch gab ihm erleichtert das Dokument. Pascha betrachtete den Beschluss aufmerksam und gab ihn an Bormann weiter. Der warf einen kurzen Blick auf das, was da geschrieben stand, und reichte das Papier ebenfalls weiter.
    Der Beschluss sah verdächtig aus. Erstens war er auf dem Fotokopierer erstellt, zweitens verschwammen die Stempel auf den Unterschriften wie Soße auf einer Tischdecke, drittens flößten auch die Unterschriften keinerlei Vertrauen ein. Selbst die Formulierungen des Beschlusses waren nebulös, es ging darin vor allem um das Bruttoinlandsprodukt und die Verbesserung des Investitionsklimas, um demokratische Veränderungen und das Vertrauen in die Staatsmacht, aber davon, dass der Flugplatz in fremde Hände übergeben werden oder dass man Traktoren auf der Startbahn auffahren lassen sollte, stand da kein Wort. Nachdem er durch alle Hände gegangen war, kam der Beschluss zu Pascha zurück. Pascha beobachtete Nikolaitsch aufmerksam und ließ ihn nicht aus seinen Augen, die schwarz waren wie der Tod. Resigniert stand Nikolaitsch vor ihm, auch er wandte die Augen nicht ab, in denen Erschöpfung und Unsicherheit langsam, aber sicher vom Hass überschwemmt wurden. Da führte Pascha den Beschluss zum Mund, stopfte ihn sich zwischen die Zähne und begann ihn sorgfältig zu kauen, gespannt auf Nikolaitschs

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