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Die Erfindung des Jazz im Donbass

Die Erfindung des Jazz im Donbass

Titel: Die Erfindung des Jazz im Donbass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serhij Zhadan
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Sofort fiel mir das Denken leichter, ich erhob mich, um meine Sachen zusammenzusuchen, ohne Kotscha zu wecken. Zog meine Panzergrenadierhosen an, fand unter dem Bett schwere, abgestoßene, aber sehr solide Soldatenstiefel. Überlegte, dass ich die heute anziehen sollte, für den Fall blutiger Auseinandersetzungen. Zog mir das T-Shirt über und ging in den Hof. Im Schrott fand ich eine handliche Eisenstange. Wog sie in der Hand. Genau was ich brauche, dachte ich und trat dem Unbekannten entgegen.
     
    Doch das Unbekannte verspätete sich. Nach zwei Stunden Sonnenbaden auf den Sitzen war ich müde und hatte Hunger, doch war mir klar, dass man vor solchen Kampfesproben ans Essen besser gar nicht denkt. Und versank in ungefähr dieser Stimmung in süßen Vormittagsschlummer.
     
    Direkt neben mir, nur ein paar Schritte entfernt, tat sich plötzlich die Luft auf, und es erhob sich ein seltsamer Zug. Heraus wehte heißer Wind und schwere, innere Hitze. Diese Hitze fraß sich in meinen Schlaf, so dass es mir für einen Moment schien, als sei ich entkommen, als hätte ich alle Kräfte gesammelt und sei zurückgesprungen in mein gewohntes Leben. Und auch nachdem ich aufgewacht war, spürte ich dieses sonnig-üble Reisegefühl noch eine Weile in mir aufsteigen, sah Feuer und Asche vor mir glimmen, wovon einem süß und weh wird. Ohne die Augen aufzuschlagen erriet ich, was Sache war und was jetzt vor mir stand und höllische Hitze atmete. Vor mir, einfach neben meinem Sitz, stand schwer und heiß wie Augustluft ein Ikarus-Bus. Der Geruch ist unverwechselbar, so riechen Leichen nach der Auferstehung. Er stand da mit abgestelltem Motor und dunklen Scheiben, so dass man nicht sehen konnte, was drinnen war, obwohl dort natürlich etwas sein musste, ich hörte gedämpfte Stimmen und wachsames Atmen, also stand ich rasch auf und versuchte hineinzulinsen. Da öffnete sich die Tür. Auf den Stufen stand der Versehrte. Er trug ein hellblau-weiß gestreiftes Argentinien-Trikot und betrachtete erstaunt meine Soldatenstiefel.
    – Wie, – fragte er, – so willst du fahren?
    – Mhm, – antworte ich und versteckte die Eisenstange hinter meinem Rücken.
    – Und wozu die Stange? – wunderte sich der Versehrte weiter. – Um die Hunde zu verjagen?
    – Einfach nur so, – sagte ich verwirrt und schmiss meine Waffe ins Dickicht.
    – Soso, – sagte der Versehrte nur, trat zur Seite und nickte: Los, steig ein.
    Ich betrat den Innenraum. Grüßte den Fahrer, der gleichgültig zurücknickte, stieg noch eine Stufe höher und schaute mich um. Es war halb dunkel, erst sah ich nicht einmal, wer da saß. Blieb stehen, blickte mich nach dem Versehrten um, starrte dann wieder in die Busdämmerung und winkte unsicher, um die Passagiere dieses Todesfahrzeugs zu grüßen. Das war das Zeichen. Auf der Stelle explodierte der Bus, fröhliches Pfeifen und Geschrei brandete auf, und jemand schrie als Erster:
    – Hi, Harry, du Hurenbock!
    – Hi, hi, – fielen kräftige Kehlen ein, – hi, Hurenbock!
     
    Vorsichtig, aber freudig lächelte ich zur Antwort, ohne so richtig zu verstehen, was los war. Da aber stieß mich der Versehrte leicht in den Rücken, und ich versank in freundschaftlichen Umarmungen und erkannte endlich die ganzen Visagen.
    Alle waren sie da: Sascha Python mit dem einen Auge, Andrjucha Michael Jackson mit den blauen Kirchenkuppeln auf der Brust, Semen Schwarzer Schwanz mit seinem abgebissenen Ohr und den angenähten Fingern der rechten Hand, Dimytsch der Schaffner mit den tätowierten Augenlidern, die Gebrüder Ballerlajeschnykow – alle drei, mit einem Handy für alle –, Krüppel-Kolja mit der weiß gefärbten Glatze und dem Hitlerbärtchen, Iwan Petrowytsch Futtertrog mit dem mehrmals gebrochenen Quadratschädel, Karpo Scharpo, die Kreissäge in der Hand, und Wasja Negativnik mit den verbundenen Fäusten; weiter hinten saßen Gescha Pumpe und Sirjoscha der Vergewaltiger und Schora Schisser und Gogi der Rechtgläubige – mit einem Wort, die ganze goldene Mannschaft »Meliorator- 91 « in Traumbesetzung, die die Sportgemeinde von hier bis ins Donbass hinein niedergemäht und sogar den Gebietspokal errungen hatte; verdiente Meister des Sports eines einzigen sonnigen Tals. Sie alle saßen hier, vor mir, schlugen mir freudig auf die Schultern, zerzausten mir liebevoll das Haar und lächelten mir aus der Finsternis des Busses mit ihren Gold- und Eisenkronen zu.
    – Was macht ihr denn hier? – fragte ich, als die erste Freudenwelle

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