Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Erfindung des Jazz im Donbass

Die Erfindung des Jazz im Donbass

Titel: Die Erfindung des Jazz im Donbass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serhij Zhadan
Vom Netzwerk:
Luftküsse hinterher und trank aus der Flasche weiter. Ich ließ mich neben ihm nieder und stellte mich auf eine lange, schlaflose Nacht ein. Aber Punkt zehn war Kotscha fest eingeschlafen, und all meine Versuche, ihn zu wecken, waren vergebens. Ich hob ihn hoch wie ein kleines Kind und trug ihn zum Bauwagen, schloss von innen ab und fiel ebenfalls in seligen Schlummer. Wenn sie uns abfackeln, dann kann meine Leiche anhand der Kopfhörer identifiziert werden, dachte ich beim Einschlafen. Und Kotschas Leiche, dachte ich schon fast ganz eingeschlafen, anhand der Fallschirmjäger-Tätowierung.
    *
    Geweckt wurde ich vom Versehrten. Er beugte sich über mich und betrachtete genervt, wie zerknittert ich morgens war. Kotscha war nicht da. Die Uhr zeigte sieben.
    – Wo ist Kotscha? – fragte ich.
    – Woher soll ich das wissen? – antwortete der Versehrte.
    – Und was machst du so früh hier? – bohrte ich weiter, erhob mich und wurde langsam wach.
    Ich trug die Sonnenbrille mit dem gelben Gestell, die ich gestern Olga abgenommen hatte. Damit hatte ich geschlafen. Vielleicht hatte ich deswegen keine Träume gesehen. Ich setzte sie ab und steckte sie in die Jackentasche zum Player und den Ohrhörern.
     
    – Ich, – erklärte Schura, – hab die ganze Nacht nicht geschlafen.
    – Hast du dir Sorgen gemacht?
    – Wieso Sorgen gemacht, – der Versehrte wurde sauer. – Ich war bei einer Bekannten. Zu Besuch, – fügte er hinzu. – Und gegen Morgen dachte ich mir, fahr ich mal hin und schau nach, ob diese Arschlöcher sich nicht selbst abgefackelt haben. Ich ließ meine Bekannte ganz übel hängen, stürzte aus dem Haus. Wegen euch, Hermann, – fügte er hinzu und spuckte aus. – Sie will alles wissen. Frag mich nicht warum – keine Ahnung.
    Da klingelte sein Telefon. Der Versehrte zog sein Handy hervor und legte es ans Ohr.
    – Ah, – sagte er. – Wo bist du? Was? – fragte er nach. – Warum? Na gut.
    – Für dich, – und streckte mir den Hörer hin.
    Ebenso erstaunt nahm ich das Telefon.
    – Hallo? – fragte ich.
    – Ja, mein Freund, – es war Kotscha, er hatte fast keine Stimme mehr. – Hör zu: Ein Unglück kommt selten allein.
    – Wo bist du?
    – Mamma . . . – sagte darauf Kotscha.
    – Was – Mamma?
    – Die Mamma ist gestorben, – krächzte der Alte.
    – Deine Mamma? – fragte ich.
    – Nein, wieso denn, – erklärte Kotscha. – Tamaras. Sie haben mich nachts gerufen.
    – Und wieso haben sie dich gerufen? – fragte ich wieder. – Bist du vielleicht der Leichenbeschauer?
    – Kumpel, – sprach Kotscha vorwurfsvoll. – Sie war mir wie meine eigene Mutter. Und jetzt liegt sie hier. Tot, – fügte Kotscha noch hinzu. – Macht keinen Mucks. Und die ganze Zigeunerbande ist versammelt, – flüsterte er genervt. – Schon die ganze Nacht strömen sie zusammen, capito. Tamara ist vor Schmerz wie erschlagen, bei ihnen, diesem Kaukasus-Volk, ist das etwas ganz Besonderes, du verstehst. Mit einem Wort, so ein Riesenzirkus . . . – schloss Kotscha tragisch.
    – Wir kommen, – sagte ich. – Sollen wir etwas mitbringen?
    – Meinen Anzug, – bat er. – Bin ja hier wie nach der OP , ohne alles.
    *
    – Kotscha hat es hart getroffen, – sagte ich unterwegs zum Versehrten, als wir in die Stadt brausten, in Kotschas alte Wohnung. Ich hatte Kotschas Sonntagsanzug über dem Arm, blau glänzend. – Und was für ein Schlag für Tamara.
    – Was hat sie damit zu tun? – fragte der Versehrte.
    – Was meinst du? – fragte ich. – Ist doch ihre Mutter.
    – Wessen Mutter?
    – Von Tamara, – erklärte ich. – Kotschas Frau.
    – Verdammt, Hermann, – erregte sich Schura aus irgendeinem Grund. – Kotschas Frau heißt Tamila.
    – Und Tamara? – fragte ich wieder.
    – Und Tamara ist ihre Cousine.
    – Georgier?
    – Zigeuner. Aus Rostow.
    – Wieso Zigeuner? Kotscha hat gesagt, sie sind aus dem Kaukasus.
    – Für Kotscha beginnt der Kaukasus irgendwo bei Rostow, – antwortete der Versehrte. Der Fuchs hat mit beiden zusammengelebt – mit Tamila und mit Tamara. Offenbar konnte er sie nicht einmal auseinanderhalten. Ihre Eltern mochten Kotscha deshalb nicht. Und jetzt – die Mamma, die Mamma.
     
    Ich wusste nicht, was ich antworten sollte. Und er hatte nichts mehr hinzuzufügen. So erreichten wir die Wohnung.
    *
    Vor dem Haus standen schon Verwandte, eigentlich sahen sie in meinen Augen eher wie Serben aus als wie Georgier. Die Männer trugen schwarze Anzüge und grelle Hemden –

Weitere Kostenlose Bücher