Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Erfindung des Jazz im Donbass

Die Erfindung des Jazz im Donbass

Titel: Die Erfindung des Jazz im Donbass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serhij Zhadan
Vom Netzwerk:
hält dich in seinen Armen, höre auf das Vibrieren seines heißen Herzens!
     
    Als die Hymne zu Ende war, stimmten die Anwesenden Kirchengesänge an, die sie kannten, und unter Gesang und energischem Geigengesäge hoben sie die Mamma auf die Schultern und trugen sie, die Füße zuerst, hinunter. Die persönlichen Sachen hatten die nahen Verwandten an sich genommen, dass andere sie auch nur berührten, war, wie Ernst uns erklärte, nicht erwünscht. Der Rettungswagen stand noch unten, die Mamma wurde hineingeschoben, außerdem nahmen Tamara und Tamila, Kotscha und das Musikanten-Trio Platz. Die übrigen Verwandten, Freunde und Bekannten fuhren mit dem eigenen Wagen zum Friedhof. Für die besonders Armen hatte man einen Traktor mit offenem Anhänger bestellt, auf der Ladefläche drängten sich an die zwei Dutzend georgische Zigeuner. Die Prozession setzte sich in Bewegung. Schon beim Hinausgehen hatte ich bemerkt, dass Kotscha kräftig geladen hatte. Am Friedhof schrie er plötzlich die Musiker an, sie sollten eine Polka spielen, und wollte den Fahrer des Rettungswagens unbedingt überreden, dass er die Mamma bis zum Grab führe, er, Kotscha, würde so viel drauflegen wie nötig. Es war ein alter Friedhof, der in einem Kiefernwald lag. Die Kiefern umstanden die Gräberreihen, es war wenig Platz, so dass wir uns wie Partisanen durch die Bäume zum offenen Grab schlagen mussten. Das Grab war tief ausgehoben. Die Wände waren mit Backsteinen verkleidet, und der Boden sorgfältig mit frischen Brettern ausgelegt. Vorsichtig wurde erst die Mamma hinabgelassen, danach ihre persönlichen Sachen. Irgendwie schaffte man es, die Schewtschenko- und Jesus-Porträts an die Wände zu heften. Kotscha drängelte sich zwischen die Verwandten, er gab ihnen streitsüchtig Befehle, riss ihnen die Schüsseln aus den Händen, um sie selbst hinabzureichen, schließlich konnte er sich nicht mehr halten und stürzte mit der Kaffeemaschine in die Grube. Man bekam ihn zu fassen, stellte ihn wieder auf die Beine und wollte ihn hochziehen, doch er wehrte sich, er wollte näher bei der Mamma bleiben.
    – Hauptsache, sie vergessen ihn dort unten nicht, – erklärte der Versehrte besorgt.
    Als sie das Grab mit Sachen und Blumen gefüllt hatten, dass die Verblichene nicht mehr zu sehen war, trat der Priester ans Grab und sprach:
    – Warum hinfahren, wo dich niemand erwartet? Warum vor denen fliehen, die dich lieben? Wenn du nicht selbst für dich und deine Nächsten einstehen kannst, wer gibt dir das Recht, das Schicksal zu verfluchen? Oder hast du versucht zu handeln, bevor du dich ergeben und die Hände in den Schoß gelegt hast? Wie willst du denjenigen in die Augen sehen, die vor dir gegangen sind und jetzt auf dich hoffen? Was wirst du denen antworten, die deinen Spuren folgen? Das Leben geht weiter Tag für Tag. Und die Liebe rechtfertigt alle Fehler und Versuche. Die Wirtschaft gründet nicht auf Macht, sondern auf Gerechtigkeit. Denn wenn du nicht das Lebendige spürst, warum kommst du dann, dich von den Toten zu verabschieden? Tante Mascha hat ein langes, heldenhaftes Leben gelebt, bestimmt vom alltäglichen Kampf um das Glück ihres Volkes, ihrer Nächsten, ihrer Freunde und ihres Arbeitskollektivs. Die fortwährende Bestätigung der Ideale des Guten und der Gerechtigkeit erhebt sie in unseren Augen und macht ihre geistigen Taten und ihren immerwährenden Einsatz für das Wohl des Kommenden unvergänglich. Die Prinzipien der Brüderlichkeit, der Offenherzigkeit und Romanipē, die sie mit ihrer ganzen Lebenserfahrung folgerichtig und nachdrücklich unter Beweis gestellt hat, sind Vorbild den neuen Generationen, die ihre Eltern ablösen und deren Plätze einnehmen in den Reihen der Kämpfer um eine lichte Zukunft. In diesem Sinne animiert uns Tante Maschas Kampf- und Arbeitsbiographie zu unermüdlicher heldenhafter Arbeit, zur Vervollkommnung unserer eigenen professionellen Fähigkeiten und zur völligen Hingabe an die unerhörten positiven Vibrationen, die uns der Erlöser schickt als Belohnung für die Jahre des Leidens und der sozialen Diskriminierung!
    – Amen, – rollte es gemeinschaftlich durch den Kiefernwald.
     
    Ich hatte die Verblichene nicht gekannt, doch schien mir, dass der Priester sie irgendwie idealisierte. Viele, die ihm lauschten, standen hinter den Bäumen, so dass man den Eindruck hatte, er spräche zu den Kiefern.
    – Außerdem, – fügte er nach kurzem Nachdenken hinzu. – Was lehrt uns dieser Tod? Er lehrt uns,

Weitere Kostenlose Bücher