Die Erfindung des Jazz im Donbass
blau, gelb und rosa. Die Frauen trugen Schwarz, hielten Gebetsketten in den Händen, ließen die Perlen langsam und konzentriert durch die Finger gleiten, als schrieben sie jemandem eine SMS . Überall rannten Kinder herum, ebenfalls in schwarzen Anzügen und mit nassen, akkurat gekämmten Haaren. Ich erkannte Ernst, der die Feiertagsuniform eines österreichischen Polizisten trug und glänzend polierte russische Springerstiefel. Auch Nikolai Nikolaitsch, ein schwarzes Männerhandtäschchen am rechten Handgelenk, befand sich in der Menge. Das Täschchen baumelte an seinem Arm wie ein Anker. Unter den Frauen fielen zwei stattliche, feurige Spanierinnen auf, jede mit einem Kranz in Händen, der eine von den Gewerkschaften, der andere von den Tschernobyl-Veteranen. Ernst entbot mir feierlich den Gruß, Nikolaitsch zuckte hastig mit seinem Vogelkopf, die Spanierinnen ignorierten mich demonstrativ. Schura bahnte sich seinen Weg durch die Menge der serbisch-georgischen Verwandtschaft und trat finster ins Treppenhaus. Auf dem Absatz zwischen dem zweiten und dem dritten Stock standen die Gäste der Braut und rauchten. Rauchten, die Schweine, ganz offen Marihuana. Wir erreichten den dritten Stock. Die Tür stand offen. Wir traten ein.
Im Zimmer herrschte ein gedämpftes, irgendwie nervöses Summen, als heirate jemand, aber nicht freiwillig. Schwarzhaarige, schwarz gekleidete Frauen liefen mit Geschirr und Flaschen durch die Flure, Männer trugen energisch Stühle, Äxte und Spaten hin und her, zwischen den Beinen wuselten Kinder und zerquetschten Pfefferminzbonbons und abgehackte Hühnerköpfe in ihren Händchen. Wir kamen in die Küche. Kotscha saß auf einem alten Schemel, in langem weißem Unterhemd und schwarzen Armeeunterhosen. Um ihn herum wuselten Frauen, die ihn auf jede nur erdenkliche Art zu trösten versuchten. Es stach ins Auge, dass man ihn hier liebte und achtete. Man tanzte Reigen um ihn herum und nannte ihn freundlich »Gadjo«. Behaglich stritt sich Kotscha mit allen herum, raunzte eine der Frauen an, verteilte Aufträge und erzählte Witze. Offenbar managte er die ganze Angelegenheit. Als er uns sah, grüßte er freundlich, aber ziemlich von oben herab und zog uns ins Bad. Im Bad begann er zu flüstern.
– Verdammich, – sagte er, da ist sie, wie entsetzlich. Ach, Mamma-Mamma, sagte ich zu ihr, langsam, Mamma, langsam. Aber sie hat nicht auf mich gehört, überhaupt nicht. Kein Wunder also, – sagte er zu sich selbst, – sie kam ja nie vor zwölf nach Hause. Aus ihrer Bar.
– Sie hat in einer Bar gearbeitet? – fragte ich.
– Wieso gearbeitet? – fragte Kotscha verständnislos. – Kumpel, das ist bei uns nicht üblich – wir sorgen für unsere Eltern, die müssen nicht arbeiten, wo denkst du hin.
Kotscha nahm mir den Anzug aus der Hand, zog ihn an und glich plötzlich einem Agronomen.
– Lasst uns zu Mamma gehen, – sagte er und kämmte sich die spärlichen Haare. – Ich muss in ihrer Nähe sein.
Die Mamma lag im Wohnzimmer, auf zusammengeschobenen Schemeln. Sie war festlich gekleidet – grauer Blazer über schwarzem Rock, rote Stöckelschuhe. Ihr Gesicht war sorgfältig über und über mit Schminke bedeckt, und sie sah ziemlich zufrieden aus, außer dass sich ihr Unterkiefer von Zeit zu Zeit öffnete und von einem der Verwandten so vorsichtig geschlossen wurde, als stanze er im Trolleybus seine Fahrkarten. Neben der Verblichenen saßen zwei schöne, aber etwas verlebte Frauen, beide in schwarzen Kleidern, schwarzen Strumpfhosen, schwarzen Schuhen, eine trug an den Fingern unzählige Ringe, der anderen baumelten Perlen und Ketten mit jeweils gleich zwei oder drei goldenen Kreuzen um den Hals. Die verlebten Schönheiten sahen streng aus, sie saßen mit übergeschlagenen Beinen und schauten kalt und aufmerksam in die Runde.
– Wer ist das? – fragte ich den Versehrten.
– Links Tamara, rechts Tamila, – erklärte mir Schura.
– Ich könnte sie nicht auseinanderhalten.
– Da bist du nicht der Einzige, – gab mir der Versehrte recht.
Tamara zog wie gezinkte Karten Papiertaschentücher aus ihrem Ärmel und tupfte sich vorsichtig die trockenen Augen, sehr darauf bedacht, die Wimperntusche nicht zu verschmieren. Tamila schaute ab und zu auf ihre goldenen Uhren, von denen sie ebenfalls zwei hatte – eine an jedem Arm. Kotscha streunte durch die Zimmer, näherte sich Tamara und Tamila, die jedes Mal auflebten, die Köpfe an Kotscha lehnten und ihm traurig, aber energisch die
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