Die Erfindung des Jazz im Donbass
Hüfte oder den Rücken tätschelten. Aus den anderen Zimmern trugen Frauen die Besitztümer der Verblichenen herbei und drapierten sie um die Hocker. Am Kopfende standen schon die Kaffeemaschine und die japanische Stereoanlage, am Fußende mehrere Paar Schuhe. Außerdem war die Verblichene von Lampen, Kleidung und gestickten Taras-Schewtschenko- und Jesus-Porträts umstellt, in den Händen hielt sie ihre Puderdose und den Fön, und der aufmerksame Kotscha steckte Münzen, Medaillen und Jetons in die Taschen des Blazers. Tamara und Tamila blickten ihn traurig an und murmelten dabei immer wieder »Gadjo, o Gadjo«. Wir blieben eine Weile stehen, dann zog uns Kotscha hinaus ins Treppenhaus. Von unten kam Ernst mit einem Blechkanister. Jemand brachte eine Tasse, man ließ Kotscha vor, der griff eifrig nach dem Gefäß, schaute in die erstarrte Menge:
– Die Wohnung, – sagte er, – wurde seit 1991 nicht mehr renoviert. Aber was soll’s. – Und trank.
Alle nickten zustimmend und standen Kotscha in seinem Schmerz bei. Dann fuhr ein Rettungswagen vor. Ein junger Mann in offiziellem, ebenfalls schwarzem Anzug und mit Aktentasche unterm Arm stieg aus.
– Der Priester ist gekommen, – raunte es in der Menge, man eilte hinunter, um den eben Eingetroffenen zu begrüßen. Der Priester richtete sich auf, jemand warf sich ihm entgegen und wollte seinen Segen. Geduldig segnete er alle, die es wünschten, nahm jemandem die volle Tasse aus der Hand, schlug vorsichtig ein Kreuz darüber und trank, wobei er wie ein Kind den Kopf in den Nacken legte.
– Wo ist die Mamma? – fragte er Kotscha.
Kotscha fasste ihn am Ellenbogen und führte ihn hinauf. Unterwegs teilte der Priester Fotokopien aus.
– Was ist das? – fragte ich Ernst, der den letzten Wein ausschenkte.
– Die Hymne, – antwortete Ernst. – Die lädt er aus dem Internet herunter.
– Was für eine Hymne? Sind das etwa Katholiken?
– Stundisten – antwortete Ernst kurz, griff sich eine Kopie und ging hinauf.
Das Wohnzimmer fasste nicht alle Trauergäste. Entferntere Verwandte, Arbeitskollegen und Amtspersonen drängelten sich im Flur, standen im Bad oder im Treppenhaus über drei Etagen. Der Priester verteilte den Hymnentext, gab ein paar Erklärungen, und ohne Zeit mit unnötigem Seufzen zu verlieren, begann er mit hoher Stimme zu singen. Nacheinander fielen die Verwandten ein, die Amtspersonen, die Nachbarn und schließlich die zufälligen Passanten. Von unten kam das Hochzeitsorchester, Trompete, Trommel und Geige, nahm die Melodie auf und unterstützte die Sänger, wobei es aber weniger für die Tote als für die in den unteren Etagen spielte. Der Priester sang besonders durchdringend, aber Kotscha überschrie ihn noch manchmal.
Wenn Gott dich an die Hand nimmt, – so hieß es in dem Lied, – und dich die gelbe Backsteinstraße entlangführt,
wenn du uns in diesem seltsamen Land allein lässt, wo es dauernd Probleme gibt mit dem Wetter und den kommunalen Diensten,
wenn die Fotografien vergilben, auf denen du jung und schön bist im Urlaub in Gursuf,
dann folgen wir dir als glückliche Familie, mit Schwiegersöhnen, Schwiegertöchtern und anderen Bastarden,
im Festtagskleid, feierlich versammelt, als gingen wir ins Wahllokal,
und beginnen Jesus zu preisen auf ewig, damit er dich fest und zuverlässig an seiner Hand hält
und nicht in die Sackgasse führt auf dem Weg zu unserem Himmlischen Vater!
– Ruhm unserem freien und unabhängigen Vaterland, – fielen alle in den Refrain ein, – gesegnet seist du, unser Himmlisches Jerusalem,
die Freundschaft der Völker ist ein sicherer Hort!
Jesu Wort, unsichtbare Kraft, sare manuscha de taboro javena, romano sakono prypchenela sare len te pryles!
Und wenn du stehst vor unserm Gott, im neuen Anzug, mit guten Beziehungen, gesellschaftlichem Ansehen,
wenn du in seine süßen Hände fällst voller Goldringe und Tätowierungen,
dann sagt dir der Herr, du bist daheim, Tante Mascha, umgeben von Freunden, entspann dich,
nalatsche manuscha pchendle, so roma dshjuvale; latsche manuscha pchendle so ame solovjej.
Und wieder fielen alle ein:
– Lebe, Romanistan, wunderbar und frei, ohne den verderblichen Einfluss transnationaler Firmen,
sare manuschende kokale parne, rat loly.
Frei unter Freien, gleich unter Gleichen, anerkannt von der Weltgemeinschaft und einer Sonderkommission der OSZE für Fragen des geistigen und kulturellen Erbes der kleinen Völker Europas,
der Herr
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