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Die Erfindung des Jazz im Donbass

Die Erfindung des Jazz im Donbass

Titel: Die Erfindung des Jazz im Donbass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serhij Zhadan
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vergebens, mir den Weg zu merken, um für den Fall der Fälle zurückkehren zu können, zugleich dachte ich, dass ich es irgendwie schon schaffen würde, Hauptsache, sie nicht verlieren, Hauptsache, in dieser frischen grenznahen Finsternis nicht alleine bleiben. Die Dunkelheit vor mir wurde immer dichter, als wäre der ausgeschüttete Teer hart geworden.
    – Vorsicht, – sagte Tolik und begann bergauf zu steigen.
    Es musste der Deich sein, den wir bei Tageslicht gesehen hatten. Nachdem ich hinter den Schiebern und Schmugglern hinaufgeklettert war, erkannte ich, dass es in Wirklichkeit ein Bahndamm war.
    – Ist das etwa die Eisenbahn? – fragte ich.
    – Na klar, – antwortete der Einäugige.
    – Und woher kommt sie?
    – Von nirgendwo her, – antwortete er.
    – Was heißt von nirgendwo her? Sie muss doch irgendwo herkommen?
    – Tut sie aber nicht. Sie wurde hier für den Kriegsfall gebaut. Man hat in der Mitte begonnen und in beide Richtungen weitergebaut. Aber nicht bis zu Ende. Und dann hat man sie so gelassen.
    – Verkehrt hier etwa gar nichts?
    – Wir verkehren hier, – antwortete Tolik. – Jetzt ist hier die Grenze. Da, – zeigte er nach links, – ist unser Territorium. Und dort, – er nickte in die Schwärze, – das der anderen.
    Wir standen auf den Gleisen und schauten in die Finsternis.
    – Warum nehmt ihr sie nicht auseinander? – fragte ich den Einäugigen. – Und verkauft sie als Schrott?
    – Sie ernährt uns, – erklärte er. Die Grenzer patrouillieren dort auf UAS -Geländewagen. Schaffst du es mit der Ware über die Gleise, kommen sie dir nicht nach, sonst würden sie auf den Schienen steckenbleiben. Klar?
    – Klar. Ich kann aber nichts sehen.
    – Brüderchen, – lachte Tolik auf. – Das ist ein Spitzenwetter für Schieber und Schmuggler. Stimmt’s, Goscha?
    Wahrscheinlich nickte Goscha im Dunkeln.
    – Könnt ihr denn in der Dunkelheit etwas erkennen? – fragte ich zweifelnd.
    – Brüderchen, – Tolik legte mir die Hand auf die Schulter, – hör auf dein Herz. Dann siehst du alles. Schluss, Hermann, – sagte er plötzlich, – weiter gehen wir allein. Du kehrst um und gehst nach Hause.
    – Wie nach Hause? Ich finde doch den Weg überhaupt nicht.
    – Wenn du willst, findest du ihn auch, – antwortete Tolik. Du darfst hier nicht weiter – es wird geschossen. Ist ja nicht dein Business, Brüderchen. Wir sehen uns, – sagte er, boxte mich in die Schulter und tauchte in die Finsternis.
    Goscha drückte mir die Hand und verschwand ebenfalls. Ich stand mitten auf den Gleisen, die nirgendwo hinführten. Mit der Empfehlung, auf mein Herz zu hören. Aber mein Herz sagte mir, dass ich von hier nicht so schnell wieder wegkäme und dass es wohl nicht die beste Idee gewesen war, diesen zwei Wilderern mit insgesamt nur drei Augen zu folgen, außerdem sagte mir mein Herz: du bist hier selber reingetappt, also zieh dich auch selbst wieder raus aus der Scheiße, am besten aber bleib stehen, wo du bist, und warte auf den Morgen. Ich blieb stehen und wartete. Vom Osten kam rauchiger Wind, die Wolken setzten sich langsam in Bewegung und schwammen nach Westen, über die Staatsgrenze. Plötzlich riss die Dunkelheit, und ein runder roter Mond kam zum Vorschein, der alles ringsum mit dichtem Licht flutete und lange Schatten über das Tal warf. Schon seit einiger Zeit waren in der Finsternis Stimmen und gedämpfte Schritte zu hören. Nun konnte ich auf den in rotes Licht getauchten Wiesen sehen, wie sich von Osten eine Karawane aus Tankwagen näherte. Später, als sie ganz nah waren, konnte ich alles erkennen: Vorne fuhr ein dunkler uralter Lada, sorgfältig mit Schmutz beschmiert. Darin saßen vier Kerle in schwarzen Jacken und schwarzen Mützen. Der auf dem Beifahrersitz hielt eine Kalaschnikow in der Hand. Die dunklen Tankwagen waren mit moorgrünen Planen und Tarnnetzen verhüllt, von weitem erinnerten sie an Elefanten, die aus ausgedörrten Wüsten hervorstampften und in ihren Leibern wertvolle, aromatische Treibstoffvorräte mitführten. Die Karawane zog sich über zig Meter hin, ihr Ende verlor sich in der Ferne, hinter den Hügeln und Dornbüschen, die das Tal bedeckten, war sie schwer auszumachen. An der Grenze wurden die Tankwagen schon erwartet, auf dem Damm huschten quirlige Gestalten hin und her, auf unserem Territorium standen ein paar Lastwagen. Die Gestalten liefen den Damm hinunter, nahmen Bretter und Holzgerüste von den Lastern, zogen alles auf die Schienen und

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