Die Erfindung des Jazz im Donbass
Streit schien beigelegt, offensichtlich waren alle Probleme gelöst. Der Fahrer des Lada holte einen Scheinwerfer, ging um die Wagen herum und begann, mit dem Licht die Hügel nach Unbefugten abzusuchen. Der fette Strahl bewegte sich langsam durchs Gras in meine Richtung, kroch den Damm hinauf, war schon ganz nahe. »Wirf dich zu Boden!« – sagte mir plötzlich mein Herz. Und ich warf mich zu Boden, direkt auf die Schwellen. Der Strahl kroch über meinen Kopf und zog weiter. Der Fahrer drehte sich um und verschwand zwischen den Lastern. »Und nun nichts wie weg!« – flüsterte mir mein Herz ein. Die Tankwagen ließen die Motoren an und entfernten sich in westliche Richtung. Ich stand auf, lief den Damm hinunter und ging geduckt schnell auf die fernen Lichter der Siedlung zu. Aus sicherer Entfernung schaute ich mich um – der Wind trieb mir schwere, wie mit Münzen gefüllte Wolken über den Kopf, der Himmel zog sich wieder zu. Das Licht ging plötzlich aus. Die Finsternis setzte sich aufs Gras wie Schlamm auf den Grund eines Flusses. Als hätte jemand das Kinderzimmer verlassen und das Licht ausgemacht.
2
Späte Sterne und goldene Gräser – an einem solchen Morgen trocknet die Luft und verhärtet sich, wie frisch gewaschene Wäsche im Frost. Am Morgen ging jeder in der Siedlung seiner Beschäftigung nach, kaum jemand achtete auf uns, die Männer beluden die Geländewagen wie Boote, als gingen sie auf große Fahrt in die reichen Fischgründe des Ostens. Die Frauen traten an den Priester heran, flüsterten ihm schüchtern etwas ins Ohr, er lächelte, schenkte ihnen Postkarten mit Psalmen darauf und Bleistifte und schrieb ihnen seine Privatnummer auf kleine Papierschnipsel. Sjewa sah müde aus, gestern hatte er ja nicht gerade gefastet, trotz entsprechender Aufrufe des Priesters, heute tat es ihm offenbar leid, denn seine ganze Haltung zeugte von Reue und Gehorsam. Tamara begrüßte mich aufgeregt und versuchte lange aus mir herauszubekommen, wohin ich verschwunden war, mit wem ich mich getroffen und warum ich allen so viel Sorge bereitet hätte. Ich antwortete, dass ich die Nacht zwar wer weiß wo und wer weiß mit wem verbracht hatte, dass aber nur sie mein Denken bestimme. Tamara wurde nicht böse, war aber auch nicht zufrieden, schweigend setzte sie sich ins Auto und knallte die Tür hinter sich zu, der Rost rieselte wie Schnee von Wintertannen. Der Chef des freundschaftlichen Kollektivs der Schieber und Schmuggler sollte uns verabschieden. Wir standen neben dem Wolga, und Sjewa saß schon hinterm Steuer und ließ den Motor warmlaufen, als aus einem der nahe gelegenen Häuser die Jungvermählten traten und auf uns zukamen, froh über die Gelegenheit, sich für gestern zu bedanken. Der Bräutigam holte aus den Taschen seiner Hochzeitshose zwei Sektflaschen, gefüllt mit gepanschtem Kognak, stellte alles auf die Motorhaube und bat zu Tisch. Ich lehnte ab, öffnete die Tür und setzte mich neben Tamara. Sjewa allerdings schloss sich der Gruppe an, ohne den Motor abzustellen, damit die Illusion von Abschied und Abreise nicht verloren ginge. Der Priester nahm diese Verstärkung wohlwollend auf, die Schieber und Schmuggler gefielen ihm, vielleicht weil sie aufmerksam zuhörten und immer wieder nachschenkten. Der Bräutigam zog aus denselben Hosen ein selbstgemachtes Finnenmesser und ein paar schwere Zwiebeln, verteilte sie zwischen den Flaschen und zerhackte wütend das reife Gemüse. Dabei unterschätzte er seine Kräfte und durchschlug mit dem Messer die Motorhaube. Der Fahrer schaute gebannt zu, sagte nichts und setzte traurig die Flasche mit dem Selbstgebrannten an den Mund.
– Wann fahren wir denn endlich? – fragte Tamara müde.
– Wohin willst du so eilig?
– Nach Hause, Harry, – antwortete sie seufzend, – nach Hause.
– Wir fahren doch gleich, – beruhigte ich sie.
– Wie geht’s dir überhaupt so? – fragte sie plötzlich.
– Gut, – antwortete ich. – Und dir?
– Auch ganz gut.
– Und warum fragst du?
– Es interessiert mich, – erklärte sie, – es interessiert mich, wie es dir geht.
– Gut geht’s mir. Ganz gut.
– Prima, – sagte Tamara und wandte sich ab.
Ungefähr eine Stunde später fuhren wir los.
Sjewa schwamm auf der perfekten Welle. Er kenne den Weg und werde uns ohne Probleme heimbringen. Zuerst quälten wir uns lange bergauf. Der Wolga soff ab, und wir hoppelten rückwärts, die Einheimischen umringten die Schrottschüssel und stießen sie vorwärts.
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