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Die Erfindung des Lebens: Roman

Die Erfindung des Lebens: Roman

Titel: Die Erfindung des Lebens: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns-Josef Ortheil
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Bach anscheinend nicht mit einem Italienischen Konzert in Verbindung bringt.
    So hat sich mit der Zeit das unsinnige Gerücht durchgesetzt, dass ich ein Italienisches Konzert gegeben habe, wahrscheinlich verstehen manche darunter sogar, dass ich gesungen oder die Gitarre gespielt habe. Hier und da wird auch behauptet, ich habe mich selbst auf dem Klavier begleitet und einige Opernpartien zum Besten gegeben, all das ist so grotesk, dass ich es irgendwann aufgegeben habe, die Sache richtig zu stellen, und nur noch freundlich nicke, wenn von meinem splendiden Italienischen Konzert die Rede ist.
     
    Wichtiger als das Rumoren dieser Gerüchteküche erscheint mir aber die Frage, wie ich mit dieser Veränderung meines Status umgehen soll. Gefällt mir meine Aufnahme in die römischen Zirkel meiner näheren Umgebung? Bin ich erleichtert, dass ich jetzt überall angesprochen werde, nachdem ich doch wochenlang den schweigsamen und etwas abwesenden Fremden herausgekehrt habe, der nur zu einem kurzen Caffè in einer Bar erscheint?
    Ehrlich gesagt, macht es mir ein gewisses Vergnügen, dass meine Anwesenheit in einer Bar oder auf dem Gelände der weiten Piazza jetzt jedes Mal von kurzen Presto-Dialogen eingeleitet wird. Jeder, der mich zu erkennen glaubt, spricht mich zunächst auf meinen Auftritt an, man wechselt einige rasche Bemerkungen zur Musik und ihrer angeblich enorm erlösenden und befreienden Kraft, dann aber wird das Neuste vom Tag verhandelt und besprochen, bis am Ende wieder eine knappe Bemerkung über die Musik und die pianistischen Zauberkünste fällig ist.
    So hat jedes Gespräch jetzt einen Rahmen und eine Struktur, ich erfahre viel mehr als zuvor, manchmal werde ich sogar zu einem Getränk eingeladen, ja, ich gebe zu, dass mir mein neuer Ruf in dieser Hinsicht durchaus gefällt.
     
    Ganz anders und viel komplizierter verläuft jedoch meine neue Bekanntschaft mit Antonia und ihrer Tochter. Der fragliche Nachmittag und der spätere Abend in der Wohnung der beiden – sie haben mich zu einem Freund der Familie gemacht. Ein solcher Freund ist kein Fremder mehr, den man kurz grüßt und mit dem man ein paar knappe Worte wechselt, er ist vielmehr ein Mensch, den man mehr als andere schätzt und dessen Nähe man täglich sucht.
    Daher haben sich zwischen uns gewisse Vertraulichkeiten ergeben, und ich habe noch keine Methode gefunden, damit umzugehen. Kommt Marietta am Mittag aus der Schule noch Hause, klingelt sie inzwischen bei mir, betritt meine Wohnung, trinkt mit mir in der Küche ein Glas Wasser und erzählt mir, was sich an diesem Vormittag in ihrer Schule ereignet hat.
    Trifft wenig später Antonia ein, um für ihre Tochter und sich selbst das Mittagessen zu kochen, so erscheint sie ebenfalls zunächst bei mir, weil sie Marietta abholen möchte. Meist werde auch ich dann zum Mittagessen geladen, oder ich erhalte irgendeine kleine Aufmerksamkeit zum Geschenk, die Antonia mir und nur mir mitgebracht hat: Ein Glas Orangenmarmelade aus Sizilien! Ein irisches Dunkelbier! Einige frische Datteln vom Markt!
    All diese Leckereien sind so etwas wie der Köder, den Antonia auslegt, weil sie genau weiß, wie empfänglich ich für solche Genüsse bin. Die Gegengabe, die sie dafür erwartet, besteht nun aber keineswegs aus ähnlichen kleinen Aufmerksamkeiten, die nun wiederum von meiner Seite her aufzubieten wären, sondern ausschließlich darin, dass ich ihr, wann immer sie es für nötig erachtet, für ein längeres Gespräch zur Verfügung stehe.
     
    Auch damit könnte ich noch leben, wenn es in all diesen Gesprächen, wie ich übrigens erst nach einer Zeit der Verblendung bemerkt habe, nicht vor allem um die Trennung von ihrem Mann und eine eventuell bevorstehende Scheidung gehen würde. Jedes unserer Gespräche beginnt dabei noch relativ harmlos, biegt dann aber nach wenigen Minuten unweigerlich auf das eine Thema ab.
    Nun kann ich ja durchaus verstehen, dass Antonia nach, wie ich inzwischen weiß, dreizehn Jahren Ehe damit zu kämpfen hat, eine Trennung von ihrem Mann hinzunehmen und zu ertragen, unverständlich dagegen war mir eine Zeit lang, warum ausgerechnet ich dazu berufen sein sollte, die Einzelheiten eines solchen Lebensumbruchs mit ihr in allen nur denkbaren Aspekten durchzugehen.
    Erst langsam begriff ich dann, dass ich für Antonia der geradezu ideale Gesprächspartner bin: Anders als ihre Freundinnen und Bekannten bin ich in die Geschichte nicht involviert, und anders als diese Freundinnen und Bekannten

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