Die Erfindung des Lebens: Roman
bringe ich wohl eine geradezu grenzenlose Geduld auf, wenn es darum geht, sich in die Einzelheiten der Geschichte zu vertiefen.
Warum aber tue ich das? Warum sage ich ihr nicht einfach, dass mir die Trennung von ihrem Mann relativ gleichgültig und die Tatsache, dass er nach dreizehn Jahren Ehe noch einmal mit einem Fitnessprogramm begonnen hat, sogar noch gleichgültiger ist?
Ich muss an dieser Stelle erwähnen, dass ich gar nicht selten in solche Gespräche wie die mit Antonia hineingezogen werde. Anscheinend sende ich bestimmte Signale aus, als würde ich mich für derartige Gespräche wahrhaftig eignen. Ich werde mit den Details einer Freundschaft oder einer Liebe vertraut gemacht, ich erhalte Informationen zu den sexuellen Vorlieben von langjährigen Lebenspartnern, ich werde gebeten, darüber nachzudenken, ab wann und warum körperliche Attraktivität in bestimmten Liebesbeziehungen wohl nachlässt – und ich gehe wahrhaftig auf alle diese Themen ein, manchmal sogar gegen meinen Willen.
Eine gute Freundin hat mir einmal erklärt, dass ich in solchen Gesprächen eine bestimmte Aura aufbauen würde, und dann hat sie mir auf meine erstaunte Nachfrage sogar noch genau beschrieben, worin diese Aura besteht.
Das Wort Aura gefiel mir natürlich, wieder mal war ich auf eines meiner dunklen, magischen Lieblingswörter gestoßen, was jedoch mit dem Wort gemeint war, gefiel mir ganz und gar nicht. Angeblich vermittle ich nämlich den Eindruck einer besonderen Hingabe und Einfühlung, und angeblich würde meine Gesprächspartnerin das bemerken, weil sich der Raum um uns während des Gesprächs allmählich schließen und dadurch immer intimer würde. Emotionale Raumaufladung! – so nannte sie das Kunststück, das ich angeblich, ohne es zu wissen, beherrschte.
Ich ließ mir das nicht zweimal sagen, sondern achtete seither darauf, dass so etwas nicht mehr vorkam, leider war es während meiner ersten längeren Begegnung mit Antonia an dem fraglichen Nachmittag und dem späteren Abend dann doch vorgekommen, ich hatte mich im Hochgefühl meines pianistischen Auftritts einfach nicht in der Gewalt gehabt.
Nun hätte ich Antonia ja irgendwann durchaus sagen können, dass ich in die Geschichte der Trennung von ihrem Mann nicht hineingezogen werden wollte, das aber unterließ ich sträflicherweise auch, und zwar deshalb, weil es in der ganzen Geschichte eben doch gewisse Details gab, die immerhin für ein schwaches Interesse und schließlich sogar für eine gewisse Neugierde von meiner Seite sorgten.
All diese Details hatten mit dem Umstand zu tun, dass Antonias Mann sich von einem Tag auf den andern aus der gemeinsamen Wohnung abgesetzt und dafür keine andere Erklärung außer der, dass er das Eheleben nicht mehr ertrage und dass es ihn abgrundtief langweile, gegeben hatte. Antonia glaubte diesen schnörkellosen und simplen Formulierungen nicht, sie vermutete vielmehr, dass hinter der ganzen Sache ein ganz anderes Motiv steckte. Eine andere Frau? Oder eine angebliche Erbschaft, die ihr Mann allein genießen wollte?
Zu all diesen Vermutungen hatte ihr Mann nur gesagt, dass sie allesamt dummes Zeug seien, das aber genügte Antonia nicht, nein, es genügte ihr einfach nicht, dass ihr Mann die gemeinsame Wohnung so leicht wie ein Vogel verlassen hatte, um auf dem gegenüberliegenden Tiber-Ufer eine Zwei-Zimmer-Wohnung mit Ausblick auf den Fluss zu beziehen. Nichts hatte er mitgenommen, nichts, nicht einmal seine Anzüge und Schuhe! Stattdessen hatte er erklärt, er wolle das alles nicht mehr sehen, Antonia könne seine Siebensachen verschenken oder verkaufen und das Geld könne sie auch behalten, er wolle einfach nicht mehr an die Vergangenheit erinnert werden, sondern ein neues Leben beginnen.
In unseren Gesprächen waren wir die ganze Sache immer wieder durchgegangen, und als es mir allmählich zu viel geworden war, hatte ich Antonia sogar gefragt, ob ihr Mann nicht vielleicht am Ende einfach recht gehabt und ihre Ehe nicht wirklich Anzeichen einer gewissen Übermüdung gezeigt habe. Antonia hatte das sofort zugegeben, ja, so sei es gewesen, eine gewisse Übermüdung habe es gegeben, aber nicht mehr als in solchen langjährigen Verbindungen üblich. In den Ehen all ihrer Freundinnen gebe es diese Übermüdung, man gehe deshalb aber doch nicht auseinander, sondern arrangiere sich und jeder führe im schlimmsten Fall dann eben ein Leben für sich, mit allem Respekt vor dem Leben des andern. Sich aber
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