Die Erfindung des Lebens: Roman
schreiben. – Du wirst Dich wundern, Antonia, aber ich habe daran auch schon gedacht.
Ich nippte an dem kräftigen, guten Weißwein aus den Castelli Romani und beobachtete, wie versunken Antonia plötzlich neben mir saß. Sie spielte mit einem Serviettenring, sie schob ihn hin und her, drehte ihn, tippte ihn an und ließ ihn ein kleines Stück über den Tisch rollen. Dann aber hielt sie plötzlich inne, als hätte sie bemerkt, dass ich sie beobachtete. Sie drehte den Kopf zu mir, und als sie sah, dass ich sie wirklich anschaute, lachte sie und fragte: Sag mal, wirst Du noch weitere Liebesromane schreiben? Oder ist es jetzt, wo Du in Rom lebst, damit vorbei? – Ich sage dazu nichts mehr, antwortete ich, ich kann dazu einfach nichts Weiteres sagen. Würde ich nämlich jetzt viel darüber reden und nachdenken, würde ich mir jede Chance verbauen, noch einmal spontan so etwas zu schreiben. – Entschuldige, sagte Antonia, ich bin wirklich zu neugierig. – Schon gut, sagte ich, wir unterhalten uns vielleicht später noch einmal darüber, aber jetzt lass uns essen, ich freue mich jetzt auf das Essen.
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ICH HABE den jungen Mann jetzt genau vor Augen, der sich in Rom ein neues Leben geschaffen hat. Er ist verliebt, wird von einer älteren Gönnerin unterstützt, hat in dem Haus, in dem er wohnt, viele Freunde und kennt in Rom von Tag zu Tag immer mehr Menschen, die er regelmäßig trifft und mit denen er sich sogar oft längere Zeit unterhält.
Sein römisches Leben ist mit dem Leben, das er zuvor in Deutschland geführt hat, nicht mehr zu vergleichen, es ist ein Leben, wie er es sich immer gewünscht hat. Das Schönste aber ist, dass niemand, dem er begegnet, ihn auf sein früheres Leben anspricht oder von diesem früheren Leben etwas ahnt, natürlich spricht er selbst auch niemals davon, um keinen Preis will er noch weiter an seine stummen Tage oder an seine einsamen Streifzüge durch die deutschen Städte und Landschaften erinnert werden.
In Rom aber ist es unmöglich, einsam zu sein, denn selbst wenn er einige Stunden allein in der Stadt ist, hat er das Gefühl, mit allen Menschen und Dingen um ihn herum in einem direkten Austausch, ja sogar in einem engen Kontakt zu stehen. Er spürt diesen Kontakt physisch, wie eine innere und äußere Wärme, eine Geborgenheit, ein Vertrauen, nie empfindet er auch nur den Hauch einer Bedrohung oder einer Gefahr, die Ewige Stadt ist so sehr sein ureigenes, auf seinen Leib und seine Seele ausgerichtetes Terrain, dass er sich schon bald nicht mehr vorstellen kann, noch einmal in einer anderen Stadt zu leben.
Das einzige Problem, das er in dieser Zeit überhaupt hat, besteht darin, sein neues Leben den Eltern begreiflich zu machen. Jede Woche schreibt er ihnen einen ausführlichen Brief und erzählt ihnen von seinen Wegen durch Rom, natürlich lässt er bestimmte Details weg, über seine Liebe zum Beispiel kann er nicht schreiben, wohl aber über die Abende im Innenhof seines Wohnhauses, über die Gespräche mit Paolo und den anderen Mitbewohnern, aber auch über den Unterricht am Conservatorio und seine Mitstudenten, über die Treffen und Begegnungen mit ihnen in den Bars und Cafés rund um die Piazza del Popolo.
Da die Telefonkosten viel zu hoch sind, verläuft der gesamte Kontakt mit den Eltern nur über diese Briefe. Ausschließlich die Mutter antwortet ihm, der Vater versieht jeden Brief nur mit einem kurzen Postskriptum. In diesen Postskripta schreibt er lauter aufmunternde und freundliche Sätze, mach so weiter, Junge!, schreibt er zum Beispiel, und daneben findet sich häufig die Wendung, dass er stolz ist auf seinen Sohn, stolz und begeistert.
Dass der Vater stolz und begeistert ist, kann er sich genau vorstellen, solche Wendungen sind bei ihm keine Phrasen, der Vater meint sie ernst, er freut sich mit seinem Sohn, schließlich hat er ja einmal viel dafür getan, aus einem stummen Idioten einen lebensfähigen Menschen zu machen.
Mit der Mutter ist es dagegen gar nicht so einfach. Auch aus ihren Briefen klingt zwar eine starke Zufriedenheit mit seiner Entwicklung heraus, diese Zufriedenheit wird aber immer wieder überlagert durch ihre langen Schilderungen und Berichte vom Leben im Haus auf der Höhe. Seit sie ihm von diesem Leben erzählt, begreift er erst, wie wunderbar sie erzählen und schreiben kann, im Grunde liest er kaum etwas anderes lieber als diese Schilderungen und Berichte seiner Mutter, die Erzählungen vom Leben im großen Garten,
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