Die Erfindung des Lebens: Roman
Dunkelheit abgezogen sind. Nachts aber gibt es keine Kontrollen, die stillen, von der Sonnenhitze des Tages erwärmten Zonen atmen aus, und wenn man es geschickt anstellt, kann man in der tiefen Nacht sogar ein kleines Feuer anzünden, das niemand sieht. Man muss nur in die Tiefe steigen, in die dunkle Weite einer Arena und ihrer Torbögen, in eine überdachte Hütte von der Art der alten Romulus-Hütten oder in kleine Gewächshäuser, in denen die Wärter der archäologischen Bereiche heimlich Tomaten und Zucchini anbauen.
In solchen Verstecken und Behausungen feiern sie dann ihre kleinen Feste, sie haben einen Weltempfänger dabei und hören Konzertübertragungen aus Finnland oder einer anderen unvorstellbaren Ferne, sie hören einen Auftritt des Pianisten Claudio Arrau in der Royal Albert Hall von London und bekommen mit, wie er die Sonate in As-Dur opus einhundertzehn von Ludwig van Beethoven spielt, der junge Mann hört zu, als spielte der große Pianist das Stück nur für ihn, denn es ist eine der Beethoven-Sonaten, die auch er gerade spielt.
Einmal haben sie es sogar gewagt, eine Nacht in der Peterskirche zu verbringen, sie haben sich in einer überdimensionalen Gewandfalte eines marmornen barocken Papst-Grabes versteckt und die Rundgänge der Wächter abgewartet, der junge Mann wollte unbedingt eine ganze Nacht bleiben und sie zusammen mit seiner Freundin ganz für sich haben, sie wagten es dann aber kaum, sich in dem gewaltigen Bau frei zu bewegen, und schlichen hastig von Pfeiler zu Pfeiler, als wären unsichtbare Kohorten hinter ihnen her.
Zum Höhepunkt dieser römischen Zeit, ihrer Monate und schließlich sogar ihrer Jahre, wird dann sein zwanzigster Geburtstag. Um das Datum auch im Bild zu fixieren, lässt er sich von Roberto in eine römische Foto-Agentur einladen, wo einige Fotos von ihm gemacht werden sollen. Aus diesem Anlass trägt er einen leichten, schwarzen Anzug, ein weites, weißes Hemd und eine schmale, elegante Krawatte, es dauert Stunden, bis die Aufnahmen fertig sind, denn immer wieder korrigieren die beiden Fotografen den Sitz seiner Kleidung, den Stand der Beleuchtung oder ein Farbdetail einer Leinwand im Hintergrund.
Als er die teuren Fotografien, die Roberto ihm zum Geburtstag schenkt, schließlich in der Hand hält, erschrickt er. Er sieht einen schlanken, jungen Mann mit weit über die Ohren reichenden, langen Haaren, offener, breiter Stirn und schmalem, leicht überanstrengtem Gesicht, dessen dunkel getönte Erscheinung ihn wie einen Römer erscheinen lässt. Die Augen blicken entschlossen, als stünde eine Entscheidung bevor, die breiten Lippen haben einen besonders dunklen Ton, alles an diesem Foto eines jungen Mannes in Halbtotale wirkt wie die Erscheinung eines anderen Menschen oder einer ihm fremden Figur, die niemand in der Heimat mehr wiedererkennen wird.
Der junge Mann hatte vor, das Foto nach Hause, an seine Eltern, zu schicken, er lässt es nach mehrfacher Betrachtung dieses Bildes dann aber doch bleiben, sag mal, Clara, bin ich das, bin ich das wirklich?, fragt er seine Freundin, die solche Fragen überhaupt nicht versteht, aber ja, caro, das bist Du, Du bist das, was fragst Du denn so? Irgendetwas an dieser Fotografie macht ihn aber unruhig und lässt ihn die Bilder schließlich verstecken, er erträgt es nicht, diesen anderen Menschen zu sehen, denn das Bild dieses anderen Menschen erinnert ihn jedes Mal an den Menschen von früher und an dessen Hilflosigkeit. Der andere, römische Mensch jedoch erscheint nicht im Geringsten hilflos, er wirkt wie eine Figur, die einen guten Weg hinter sich hat, ja er erscheint wie der Sohn aus vermögendem italienischem Haus.
Die Fotografien des reichen Sohnes haben ihn aber gerade noch rechtzeitig davon abgehalten, zur Feier seines Geburtstags ein großes Fest zu veranstalten, deshalb lässt er es mit einer kleinen Feier und höchstens zehn geladenen Gästen bewenden. Für diese Feier hat er sich ein Restaurant in Trastevere ausgesucht, in dem man ihn kennt, eine lange Tafel wird dort am Nachmittag des festlichen Tages gedeckt, und Clara, seine Freundin, kümmert sich um die Ausstattung des Raumes, in dem das Fest stattfinden soll.
Auf ihren Wunsch hin darf er bei den Vorbereitungen nicht zugegen sein, er ist etwas nervös, versteht aber nicht, warum er das ist, den ganzen Nachmittag treibt er sich allein in seinen Lieblingsgegenden herum und macht seiner Unruhe schließlich ein Ende, indem er den weiten Platz
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