Die Erfindung des Lebens: Roman
Räume liegen zunächst im Stadtteil Trastevere, es handelt sich um alte Weinkeller oder ehemalige Zisternen, der halbe Untergrund dieses Viertels wird von katakombenartigen Gängen und Stollen durchzogen, die oft unterhalb von Wirtschaften und Restaurants liegen.
Meist findet sich das Publikum in diesen Wirtschaften ein und beginnt mit dem Abendessen, das zwei- oder dreimal von musikalischen Darbietungen in den Kellern unterbrochen wird. Auf die Ausschmückung dieser Keller verwenden der junge Mann und seine Freunde viel Energie, brennende Öllampen verbreiten eine intime Spannung, Blumendüfte sorgen für ein narkotisches Flair von intensiven Gerüchen, während die vielen, überall in den Gängen postierten Vasen und Schalen mit Blumen einen verschwenderischen, luxuriösen Eindruck machen.
Die Phantasien, denen der junge Mann bei solchen Inszenierungen folgt, hat er aus altrömischen Texten und Büchern über das Alte Rom , immer wieder liest er Gedichte, Briefe und Erzählungen aus dieser Zeit, ja er ist von den Bildern und Zeichen der altrömischen Kultur mit all ihren Villen, Wandgemälden und Festen derart eingenommen, dass er manchmal sogar davon träumt, in einer altrömischen Villa irgendwo in der römischen Campagna als Mitglied einer großen Hofhaltung zu leben.
Neben den Briefkontakten mit seinen Eltern ist der Kontakt mit Walter Fornemann der einzige, der noch nach Deutschland besteht. Auch an Fornemann schreibt der junge Mann Briefe und erhält von seinem früheren Lehrer ausführlich Antwort. Ihr gesamter Briefwechsel kreist ausschließlich um die Musik, um bestimmte Stücke und Komponisten, um neue Schallplatten und Interpreten. Am wichtigsten für den jungen Mann ist, dass Fornemann ihn immer wieder in seinem Tun und Handeln bestärkt und sich darüber hinaus sogar Gedanken macht, wie er ihn aus der Ferne animieren kann, noch mehr musikalische Neuheiten kennenzulernen.
So schickt ihm Fornemann Partituren und Bücher, empfiehlt ihm Stücke, von denen er noch nie gehört hat, und erzählt auf seine pointierte, unterhaltsame Art von den Auftritten großer Pianisten im Rheinland. Ich habe Arrau gehört, lieber Johannes, es geht nichts über Arrau! – in diesem Ton beginnen seine enthusiastischen Porträts, die der junge Mann seiner Freundin vorliest. Sie geraten über der Lektüre solcher Briefe oft gemeinsam in eine Begeisterung, die sie noch am Tag der Lektüre in ein Konzert treibt, am liebsten besuchen sie Konzerte im Freien, die Auftritte großer Pianisten in der gewaltigen Basilika des Maxentius auf dem Forum oder Konzerte in den Kreuzgängen der mittelalterlichen Kirchen, in denen die Musik es gegen die jahrhundertealte, schwere Stille oft schwer hat.
So ist das römische Leben für den jungen Mann ein einziger, unfassbarer, nicht enden wollender Rausch, ein Rausch aus Liebe, intensiver Arbeit und Freundschaft, der ihn vom frühen Morgen bis tief in die Nacht durch die Ewige Stadt treibt. Mit der Zeit füllt sich der seltsam arbeitende Speicher seines Gehirns darüber mit lauter Daten und Zeichen, seine alte Protokollsucht ist weiter am Werk, so dass er unablässig in seine schwarzen Kladden notiert, in welchen Gegenden Roms er sich bewegt und was genau er dort sieht. Was er einmal notiert hat, bleibt haften, so hat der junge Mann zum Beispiel ein gutes Gedächtnis für kunsthistorische Details und Daten, seine Freundin spielt manchmal mit ihm ein eigenartiges Spiel und fragt ihn, in welcher Kirche sich dieses oder jenes Gemälde befindet, er weiß es genau, ja er kann sogar die Kapelle nennen, in der das Gemälde hängt.
Das geplante Studium der Kunstgeschichte betreibt er nebenbei, er geht jedoch ausschließlich in bestimmte Überblick bietende Vorlesungen, nicht aber in Seminare, insgesamt ist ihm die universitäre Lehre zu langsam und zu wenig originell, nein, das alles packt ihn nicht, er findet an dieser Lehre nur wenig Gefallen, und wenn ihm einmal etwas imponiert, so ist es ein einzelner Lehrer, der sich traut, etwas zu behaupten, das sich von der allgemeinen Lehrmeinung entfernt. Solche Lehrer aber gibt es nur wenige, meist sind es die jüngeren, vielleicht ist es letztlich nur einer, er heißt Roberto Zucchari und ist ein später Nachfahre der römischen Künstlerfamilie Zucchari.
Mit Roberto, der nur sechs Jahre älter ist als er, trifft sich der junge Mann auch privat häufig, Roberto hat ein Faible für die Musik der Romantik, so wie er ein Faible für
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