Die Erfindung des Lebens: Roman
Renaissance-Malerei hat. Dazu passt, dass Roberto ein schöner Mann ist, ein Mann, der so erscheint, als denke und rede er nicht nur ununterbrochen über die Schönheit, sondern als trage er auch Sorge dafür, sie zu verkörpern. Diese Sorge schlägt sich in seiner Kenntnis von Stoffen und Kleidung und von beinahe allem nieder, was den Alltag berührt, in Robertos Nähe glaubt sich der junge Mann in ein ästhetisch stimmiges Reich versetzt, das ihn schließlich auch Robertos Ratschlägen zur Praxis des Schönen folgen lässt.
Diese Ratschläge verschaffen ihm auf kostengünstige Weise lauter angenehm zu tragende Kleidungsstücke aller Art, zum ersten Mal in seinem Leben achtet er jetzt darauf, wie er sich kleidet, und damit darauf, was er etwa während des Orgelspiels in der Kirche trägt oder wie er sich während einer abendlichen Séance in Trasteveres Kellern präsentiert.
So geht und wirkt für den jungen Mann in Rom alles zusammen und kreist ununterbrochen um seine Liebe und die Musik, die Liebe hat die starke Wirkung, die Musik auf ihn ausübt, aufgefangen und noch verstärkt, so dass er sich während seiner vielen Stunden in den Übezellen des Conservatorio nicht wie ein Übender vorkommt, sondern wie einer, der seinen Rausch und seinen Taumel zu bändigen sucht.
Das Üben erscheint ihm daher wie ein sportliches Training, wie langes, ununterbrochenes Laufen mit dem Einsatz aller Glieder und Muskeln oder wie ein Stemmen und Ausbalancieren von schweren Gewichten oder wie ein Schlagtraining, das Ganze ist ein ewiger Kampf mit der Schwere des Instruments, mit seiner Unbeweglichkeit, mit der Härte seiner Melodietönung, mit der Monstrosität seines Klangs. Das Ziel ist, diesem widerständigen, schwerfälligen Wesen so etwas wie Eleganz und Weichheit zu entlocken, eine perlende Melodieführung zu erreichen und dadurch einen Klang zu erzielen, wie man ihn einem Flügel nie zutrauen würde.
Auf der Suche nach diesem Klang ist der junge Mann in Roms Klavierfabriken und Klavierläden unterwegs, er testet die verschiedensten Fabrikate und notiert, für welche Kompositionen sie sich jeweils eignen könnten. Im Conservatorio dagegen stehen beinahe ausschließlich Flügel der Marke Steinway , der junge Mann kommt jedoch gerade mit ihnen nicht gut zurecht, die meisten sind ihm zu starr und zu hart und vor allem in den Tiefenbereichen zu trocken, manchmal schlägt er resigniert und erschöpft auf sie ein, und sie antworten mit einem fahlen, matten Krachen und Ächzen, als empfänden sie bei derartigen Züchtigungen noch eine geradezu masochistische Lust.
Wenn der junge Mann aber eine ideale Kombination von Instrument und Komposition erwischt, wenn beides zusammenpasst und ein Stück so klingt, als wäre es nicht auf einem Tasten-, sondern einem Saiteninstrument gespielt oder sogar mit der Stimme gesungen, dann überfällt ihn während des Spiels oft eine alte Erinnerung.
Er beugt sich etwas vor, er macht den Oberkörper leicht und schlank, er lässt den Fingern ihren Lauf, er korrigiert sie nur unmerklich einmal hier und da in ihrer Ausrichtung – in solchen wilden, schönen Momenten ist manchmal die alte Erinnerung da und er glaubt, wie früher als Kind auf dem Rücken eines schnell galoppierenden Pferdes zu sitzen. Es ist dieselbe Schnelligkeit und dieselbe Lust, es ist ein sanftes Dahingleiten über einen weichen, nachgiebigen Boden, Schwindel erregend und doch kontrolliert, ein geradezu ideales Zusammenwirken von zunehmendem Tempo und unmerklicher Lenkung. Er erzählt Clara davon, wie er ihr überhaupt das meiste erzählt, was ihm am Tag durch den Kopf geht. Das Erzählen ereignet sich in den Stunden ihrer Erschöpfung, in den ruhigen Minuten nach der ersten Überwältigung durch die Nähe der Körper, die weiter so stark ist, dass sie die beiden Liebenden von der ersten Minute ihrer Begegnungen an mitreißt. Kaum haben sie sich nämlich irgendwo in der Menschenmenge der Ewigen Stadt entdeckt, fliegen sie auch schon aufeinander zu und verfallen gleich, noch ohne ein Wort gesprochen zu haben, in einen heftigen Austausch von Küssen, sie haben sich so daran gewöhnt, dass jede andere erste Aktion sie durcheinanderbringt und unruhig werden lässt.
Nach diesen ersten atemlosen Minuten aber kommen sie erst recht nicht zur Ruhe, sie bewegen sich meistens rasch, sie kreuzen die Straßen und springen irgendwo in ein Abseits, Hauptsache, sie sind dort allein und am besten auch noch versteckt, denn die Körper
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