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Die Erfindung des Lebens: Roman

Die Erfindung des Lebens: Roman

Titel: Die Erfindung des Lebens: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns-Josef Ortheil
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bösen Bemerkungen holte ich das Spiel Mensch ärgere Dich nicht hervor und baute es auf dem Küchentisch auf. Bei Mensch ärgere Dich nicht gewann die Sprachlehrerin nie, denn ich verbündete mich immer mit Mutter, und Mutter wiederum verbündete sich mit mir. Standen Mutters Figuren sehr gut, ließ ich ihr beim Gewinnen den Vortritt und räumte die Figuren der Sprachlehrerin ab, und umgekehrt war es meist genauso.
    Dann konnte ich sehen, wie sich die Sprachlehrerin erst so richtig ärgerte, sie stand auf, verließ die Küche und ging auf die Toilette, als müsste sie sich beruhigen oder als hätte man sie beleidigt. Meist war das der Moment, in dem alle Anläufe der Sprachlehrerin gut sichtbar ins Leere gelaufen waren. Sie ging dann wie eine Verliererin in das Wohnzimmer zurück und setzte sich beleidigt irgendwo hin, und ich ging dann auch ins Wohnzimmer und spielte allein mit meinen Spielsachen auf dem Boden, auf den sie sich niemals gesetzt hätte.
    So blieben wir noch eine Weile jeder für sich an seinem Platz, ich spielte für mich, und die Sprachlehrerin ordnete ihre paar Sachen und schaute wichtigtuerisch in ihren Kalender oder fummelte an ihren Haaren herum. Nach einigen zähen Minuten war dann die lange Stunde vorbei, und die Sprachlehrerin verschwand wieder im Treppenhaus.
     
    Kaum war sie verschwunden, ging Mutter ins Wohnzimmer und öffnete das große Fenster, danach aber ging sie auch noch in die Küche und riss auch dort das Fenster weit auf. Alles, was zur Sprachlehrerin gehörte und noch an sie erinnerte, flog hinaus, so dass wir durchatmen und uns wieder beruhigen konnten. Mutter kochte sich einen Tee und setzte sich wieder mit einem Buch in den Sessel schräg vor dem Fenster, und ich beschäftigte mich ebenfalls wieder allein, nachdem die lästigen Annäherungsversuche der fremden Person endlich vorbei waren.
     
    So waren die Stunden immer verlaufen, bis ich das Klavierspiel entdeckte. Seit ich täglich am Klavier saß, war die Sprachlehrerin nur noch lästig. Ich schleppte keine Spielsachen mehr an, um anstandshalber damit zu spielen, ich hörte nicht mehr zu, wenn sie lustlos aus Kinderbüchern vorlas, und ich baute auch keine Gesellschaftsspiele wie Mensch ärgere Dich nicht mehr auf, um wenigstens irgendetwas mit ihr gemeinsam zu machen.
    Stattdessen ließ ich sie abblitzen. Ich musterte sie kurz, drehte mich um und verließ das Zimmer, in dem sie ihren Teddy auspacken wollte. Im Esszimmer setzte ich mich an das Klavier und übte. Die Zeit mit der Sprachlehrerin war verlorene Zeit, ich konnte auf sie verzichten – das wollte ich beweisen und offen zeigen, dass ich zu keinerlei Kompromissen bereit war. Nicht einmal die Rolle des kleinen Ekels, die ich im Umgang mit der Sprachlehrerin schließlich so gut beherrscht hatte, reizte mich noch. Ich war über diese Kindereien hinweg, für mich hatte ein anderes Leben begonnen, ein Leben mit der Musik.
    Einige Wochen, nachdem das Klavier im Haus war, gab die Sprachlehrerin auf, und ich habe sie nie wieder gesehen.

8
     
    MEINE ENGE Verbindung zur Musik begann mit zwei Live-Auftritten: Ich hörte meine Mutter Klavier spielen, und ich hörte mich selbst spielen. Noch heute erlebe ich solche Auftritte, egal, um welche es sich handelt, meist stärker als eine von Medien übertragene Musik, häufig bin ich sogar wie ein Süchtiger unterwegs, um irgendwo etwas Live-Musik aufzuschnappen.
    Hier in Rom kenne ich viele Gegenden, wohin ich gehen kann, um so etwas zu hören: Zum Beispiel in die Nähe des alten Konservatoriums nahe der Piazza del Popolo. An schönen Tagen stehen viele Fenster dort offen, ich setze mich nach draußen, in ein Café, und höre dann einige Zeit den Klavierübungen eines Studenten zu. Etwas derartig Unfertiges und Verbesserungsfähiges zu hören, befriedigt mich manchmal noch mehr, als in ein Konzert zu gehen. Natürlich gehe ich häufig und gern vor allem in Konzerte von Pianisten, ebenso oft aber suche ich nicht den perfekten Konzertklang, sondern den Klang der Überäume und Übezellen.
     
    Tausende von Stunden habe ich in meinem Leben in solchen Räumen verbracht, allein mit den verschiedensten Instrumenten und allein mit der Wollust. Meist habe ich mich in diesen Räumen vollständig verausgabt. Wie ein Sportler, der bis an extreme Leistungsgrenzen gegangen ist, habe ich diese Räume verlassen und war in den Stunden danach für nichts mehr zu gebrauchen. Und das alles habe ich getan, um nichts anderes zu wiederholen als zwei

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