Die Erfindung des Lebens: Roman
durch ein heftiges Nicken?
Natürlich interessierte mich nicht alles, was er mir zeigte, aber es wäre nicht richtig gewesen, ihm ein solches Desinteresse zu zeigen. Ich freute mich doch so, dass er mit mir allein unterwegs war und mir die ganze Umgebung erklärte! Diese Freude aber wollte ich ihm auch beweisen, indem ich nickte und ihm zustimmte und alles tat, damit er weitermachte mit seinen Zeichnungen und Erklärungen.
An einem Mittag saßen wir in brütender Hitze nebeneinander auf einer Bank und tranken gemeinsam aus einer Flasche Wasser. Vater setzte die Flasche vom Mund ab und reichte sie mir und während ich sie ihm abnahm, deutete er mit dem Kinn auf die unter uns liegenden Wälder und sagte nur: Alles Eichen, nichts als Eichen! Ich nahm einen Schluck und nickte, doch Vater machte weiter: Nichts als Eichen, verstehst Du? Weißt Du, was das ist, eine Eiche? Weißt Du genau, was eine Eiche ist?
Ich nickte wieder, natürlich wusste ich das, ich wusste, wie eine Eiche aussah und wie sie sich von einer Buche oder einer Fichte unterschied, so etwas wusste ich, auf jeden Fall. Immer wieder nickte ich, aber Vater hörte nicht auf: Wenn Du genau weißt, was eine Eiche ist, dann solltest Du mal eine zeichnen! Hier, hier ist Papier! Fang mal an! Zeichne mir mal eine Eiche!
Ich wunderte mich ein wenig, warum er von mir so etwas verlangte, aber ich hatte keine Zeit, lange nach Gründen zu suchen, gleich würden wir ja wieder weiterziehen, also musste ich rasch zeichnen und in kurzer Zeit eine Eiche aufs Papier bringen. Ich setzte am Erdboden an und zeichnete einen Stamm und Äste, und dann drückte ich Vater mein Blatt in die Hand. Das ist ein Baum, aber keine Eiche, sagte er, Du solltest aber eine Eiche zeichnen und nicht irgendeinen Baum! Ich nickte und versuchte es ein zweites Mal, um schon bald festzustellen, dass ich nicht genau wusste, wie man eine Eiche und nicht nur einen Baum zeichnete.
Als Vater meine Hilflosigkeit bemerkte, packte er unsere Sachen zusammen uns sagte: Es ist doch ganz einfach! Komm, wir gehen hinüber in den Wald und dann setzt Du Dich neben eine Eiche und zeichnest sie! Wir standen auf und liefen über eine Wiese zu dem unter uns liegenden Eichenwäldchen, wo ich mich gleich hinhockte, mir eine Eiche aussuchte, sie genauer betrachtete und dann zu zeichnen begann. Vater aber setzte sich neben mich und nahm ebenfalls ein Blatt heraus, so dass ich ihn, während ich selbst die ersten Linien zeichnete und wieder ausradierte und neu zeichnete und wieder radierte, beim raschen Skizzieren beobachten konnte.
Als er fertig war, wartete er eine Weile, bis auch ich zu Ende gezeichnet hatte, und dann schauten wir uns unsere beiden Eichen an und verglichen, wie wir beide versucht hatten, möglichst exakt zu zeichnen. Vater hatte natürlich eine komplette Eiche genau in ihrem besonderen, etwas verrenkten, schräg nach hier und dort ausholenden Wuchs hinbekommen, während ich noch immer einen viel zu geraden Stamm und einander viel zu ähnliche Äste, immerhin aber doch auch einige Eichenblätter gezeichnet hatte, die keinen Zweifel mehr daran erlaubten, um was für einen Baum es sich handeln sollte.
Bravo! , sagte Vater, das ist jetzt eine Eiche, eine richtige Eiche! Man muss sich die Sachen, die man zeichnen möchte, ganz genau anschauen, ganz genau, hörst Du, in allen Einzelheiten! Und erst dann sollte man mit dem Zeichnen anfangen, hörst Du? Ich nickte und nickte und radierte noch ein wenig an meiner Eiche herum, während Vater nach meiner Skizze griff, sie auf seinen Schoß nahm und unter meine Eiche schrieb: Das ist eine Eiche.
Vier Worte, ein Punkt: Das ist eine Eiche. Ich starrte auf meine Zeichnung und auf die Schrift meines Vaters, meine Blicke wanderten unaufhörlich zwischen der Zeichnung und der Schrift hin und her. Jetzt, jetzt hatte ich es, jetzt hatte ich mir eingeprägt, was Vater geschrieben hatte: Das ist eine Eiche. Ich griff nach Vaters Skizze und legte mir diese Skizze auf den Schoß. Dann setzte ich den Bleistift an und schrieb unter Vaters Zeichnung: Das ist eine Eiche. Vier Worte, ein Punkt.
Vater starrte auf das Blatt, das ich beschrieben hatte, dann schaute er mich an. Was war mit mir los? Konnte ich mir etwa die Buchstaben und Worte merken? Behielt ich sie, wenn man sie mir aufschrieb, im Kopf? Gut, sagte er, sehr gut! Du kannst Dir die Buchstaben merken? Du hast sie im Kopf? Ich nickte und nickte, ja, wenn es darauf ankam, konnte ich mir alles
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