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Die Erfuellung

Die Erfuellung

Titel: Die Erfuellung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Cookson
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allein ließ, damit sie sich aussprechen konnten.
    »Gute Nacht, Sohn.«
    Ralph Batley fuhr herum. Er hatte die Hand abwehrend erhoben, aber da sich seine Mutter abwandte, als hätte sie nichts bemerkt, ließ er sie wieder sinken.
    Das schlug dem Fass den Boden aus. Auch wenn ihm die Situation unangenehm war, gab es keinen Grund, das so deutlich zu zeigen. Linda ging schon zur Treppe, als er sie zurückhielt.
    »Setzen Sie sich.«
    Widerstrebend wandte sie sich um. Er deutete auf ihren Sessel, und nachdem sie Platz genommen hatte, folgte er ihrem Beispiel. Allerdings wählte er diesmal nicht den Sessel neben dem Kamin, sondern einen links hinter ihr.
    Das Feuer prasselte im Kamin, aus der braunen Kanne stieg der Dampf auf, aber keiner von ihnen sagte ein Wort. Sie hatte keine Ahnung, wie lange dieses Schweigen andauerte, doch plötzlich überkam sie eine unwiderstehliche Müdigkeit, die stärker war als ihr Unbehagen. Unwillkürlich fielen ihr die Augen zu. In diesem Augenblick schien nichts mehr von Bedeutung, nicht einmal ihr künftiger Arbeitgeber. Ihre Lider senkten sich, und sie wäre um ein Haar fest eingeschlafen.
    »Nun?«
    Sein Befehlston riss sie aus ihrer Schläfrigkeit.
    Als sie ihn anblinzelte, sah sie, wie er sich aus seinem Sessel erhob. »Tut mir Leid«, entschuldigte sie sich.
    »Sie sind müde, wir können unser Gespräch auch auf morgen früh verschieben.« Seine Stimme klang weder besorgt noch schroff, es handelte sich um eine reine Feststellung.
    »Nein, es war nur das Feuer.« Sie stand auf.
    »Wir gehen ohnehin früh zu Bett.« Ohne sich von der Stelle zu rühren, sah sie ihm in die Augen. »Ich glaube nicht, dass es Ihnen hier gefallen wird«, sagte er, nachdem er ihrem Blick einige Sekunden lang standgehalten hatte. »Das Land ist rau, das Wetter scheußlich. Außerdem arbeiten wir sehr hart. Ich habe nur einen einzigen Angestellten außer meinem Onkel. Und Unterhaltung gibt es hier überhaupt keine«, setzte er nach einer kurzen Pause hinzu.
    Sie wich seinem Blick nicht aus. »Ich habe häufig einen ganzen Monat lang von früh bis spät auf der Farm meines Onkels gearbeitet«, erwiderte sie mit fester Stimme. »Die Einsamkeit macht mir nichts aus. Und beschäftigen kann ich mich selbst.« Das entsprach nicht ganz der Wahrheit, denn sie war eine leidenschaftliche Tänzerin.
    »Schön, dass Sie so leicht zufrieden zu stellen sind. Sie müssen trotz ihrer jungen Jahre eine beträchtliche Abgeklärtheit besitzen.«
    Seine Worte klangen so zynisch, dass sie herausfordernd das Kinn hob. Statt ebenso bissig zu antworten, verbarg sie lieber ihre Gefühle und wandte sich ab.
    »Es tut mir Leid«, sagte er unvermittelt. »Ich hatte vergessen zu erwähnen, dass wir hier oben unkultiviert und ungehobelt sind.«
    Als sie herumfuhr, erhaschte sie für einen Moment einen Blick auf den Mann hinter der Maske. Seine Züge waren gelöst und wirkten so traurig, dass sie sich an Michael erinnert fühlte. Als seine Großmutter ihn daran gehindert hatte, von seiner Mutter zu sprechen, hatte sich der Junge zum Feuer gewandt und in seiner Einsamkeit still vor sich hin geweint. Überhaupt schien sie in den wenigen Stunden, die sie in diesem Haus verbracht hatte, überall auf Einsamkeit gestoßen zu sein. Mrs Batleys tiefe Einsamkeit, die sie daran hinderte, auch nur für einen Augenblick die Hände ruhig zu halten, die Einsamkeit des Kindes, das nicht über seine Mutter sprechen durfte, die Einsamkeit von Onkel Shane, der in seinen Träumen lebte, und die Einsamkeit des Mannes, der vor ihr stand … Sie hatte diese Einsamkeit vom ersten Augenblick an gespürt, auch wenn sie sie nicht sofort hatte benennen können.
    Der Drang, die Hand auszustrecken und ihn zu trösten, war so stark, dass sie sich kaum bezähmen konnte. Stattdessen wünschte sie ihm mit leiser Stimme eine gute Nacht, wandte sich rasch ab und ging die Treppe hinauf.
    Auf der Galerie angekommen, warf sie einen Seitenblick nach unten und stellte fest, dass er praktisch parallel zu ihr auf den Kamin zuging.
    In ihrem Zimmer angelangt, ging sie weder gleich ins Bett noch packte sie ihre Koffer aus. Stattdessen setzte sie sich auf den Teppich vor dem Feuer und starrte in die erlöschende Glut. Welch entsetzliches Ereignis konnte diesen Hass zwischen den beiden Familien ausgelöst haben? Bauern stritten häufig um Land und Wegerechte, das war ihr bekannt. Gelegentlich ging es bei diesen Auseinandersetzungen auch um den Viehbestand des jeweils anderen. Aber

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