Die Erfuellung
die Gefühle, die zwischen den Cadwells und den Bewohnern dieses Hauses herrschten, waren anders, bedrohlicher, tiefer reichend. Die Einsamkeit, die sie bei jedem der Batleys gefühlt hatte, war ein Bindeglied zwischen ihnen allen. Vor ihrem geistigen Auge sah sie, wie ein Band über die Klippen hinab ins Tal zum Haus der Cadwells reichte, dem Haus, das diesem hier so ähnlich war, dass es nur aus derselben Idee, demselben Plan entstanden sein konnte. Menschen, die einander hassten, bauten nicht derart ähnlich. Nur tiefe Freundschaft und Bewunderung konnten der Grund dafür gewesen sein, und nur ein entsetzliches Unrecht konnte diese Kluft zwischen den Häusern und ihren Bewohnern aufgerissen haben.
Sie wusste nicht, wer im Recht war, aber ihr Herz hatte sich bereits entschieden …
2
Irgendwann in den frühen Morgenstunden wachte Linda auf und stellte fest, dass ihr eiskalt war. Als sie zu Bett gegangen war, war ihr so warm gewesen, dass sie gerne auf einige der Decken verzichtet hätte, aber im Augenblick kam sie sich vor, als hätte man sie mit einem dünnen Leintuch auf einem der Hügel ausgesetzt. Das also war das berühmte Wetter hier oben. Manchmal war der Morgen auch im Süden kalt, aber nie so wie hier. Sie steckte den Kopf unter das Kissen und rollte sich zusammen wie ein Igel. Von draußen kam ein Geräusch. Sie lugte unter den Decken hervor, zündete ein Streichholz an und sah auf ihre Uhr. Erst halb sechs. Ihr Chef schien ein Frühaufsteher zu sein. Vielleicht war etwas mit dem Kalb. Gerade als sie das dachte, hörte sie, wie sich auf dem Treppenabsatz knarrend eine Tür öffnete. Ein leises Hüsteln folgte. Das konnte doch unmöglich Mrs Batley sein! Nicht um halb sechs!
Danach hörte sie nichts mehr, bis es klopfte. »Sind Sie wach?«, fragte eine Stimme. »Es ist sieben Uhr.«
Sofort saß sie senkrecht im Bett. »Ja, ja, ich bin wach.« Verstört stellte sie fest, dass sie offenbar trotz der Kälte wieder eingeschlafen war.
Von der Gemütlichkeit, die das Zimmer am Vorabend ausgestrahlt hatte, war nichts mehr zu merken. Ihr Atem hing in der Luft, und das Wasser, mit dem sie sich wusch, war eiskalt. Sie hatte das Gefühl, sich noch nie in ihrem Leben so schnell angekleidet zu haben. Rasch machte sie das Bett und räumte ein wenig auf. Sie hatte sich so beeilt, dass die Zeiger der alten Großvateruhr an der Wand noch nicht einmal Viertel nach sieben zeigten, als sie auf die Galerie hinaustrat.
Obwohl sie am liebsten sofort zum Feuer gelaufen wäre, um sich aufzuwärmen, blieb sie oben an der Treppe stehen und sah in die Halle hinunter. Die Flammen prasselten, der schwarze Kessel sang, und der lange Refektoriumstisch war für das Frühstück gedeckt. Am anderen Ende des Raumes bohnerte Mrs Batley auf Händen und Füßen den Fußboden.
Als Linda die Treppe herunterkam, sah sie für einen Augenblick auf und ließ die Hände sinken. »Sie sind aber früh dran!«
»Früh?« Linda, die nun am Fuß der Treppe angekommen war, sah sich um. »Dabei habe ich das Gefühl, verschlafen zu haben. Es sieht aus, als wären Sie schon seit Stunden bei der Arbeit.«
»Nicht ganz.« Mrs Batley rieb energisch auf dem Boden herum. »Sonntags stehe ich erst gegen halb sechs auf, an den anderen Tagen um fünf.«
»Du meine Güte!«, gab Linda voller Bewunderung zurück.
»Wissen Sie, für mich ist das keine Leistung«, erwiderte Mrs Batley. »Ich kann nach fünf Uhr nicht mehr schlafen, ich bin es einfach nicht gewöhnt.« Sie legte eine kurze Pause ein. »Aber eigentlich hatte ich gemeint, dass Sie schnei! aus den Federn kommen. Frühstück gibt es erst um halb acht, aber wenn Sie mögen, können Sie sich eine Tasse Tee nehmen.« Dabei polierte sie fleißig weiter.
»War Ihnen heute Nacht warm genug?«, wollte sie wissen, als Linda, dankbar für das Feuer in ihrem Rücken und den heißen Tee, vor dem Kamin stand.
»Zuerst schon, aber gegen Morgen wurde es eisig.«
Mrs Batley nickte zustimmend. »Ja, zwischen vier und fünf wird es frisch.«
Gerade als Linda ihren Tee getrunken hatte, hörte sie, wie sich die Hintertür zur Küche öffnete. Sie erkannte Shanes fröhliche Stimme und den tiefen zurückhaltenden Bass ihres Arbeitgebers. Zu ihrer Überraschung zwitscherte der kleine Michael dazwischen. Während sie noch dachte, wie rücksichtslos es sei, ein Kind so früh zu wecken, kam er ins Zimmer gestürzt. »Sie ist so süß, Großmama«, sprudelte er voller Begeisterung heraus und wirkte dabei keineswegs so,
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