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Die Erfuellung

Die Erfuellung

Titel: Die Erfuellung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Cookson
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als hätte man ihn zu irgendetwas gezwungen. »Sie läuft schon herum, und Onkel Ralph sagt, ich darf ihr einen Namen geben.«
    Als er Linda sah, blieb er wie angewurzelt stehen. Allerdings richtete sich sein Blick nicht auf ihr Gesicht, sondern auf ihre Beine. »Sie haben aber lange Beine«, piepste er galant, »genau wie das Kalb.«
    »Michael!«
    Der Kleine verstummte schlagartig und sah sich nach seinem Onkel um, der in der Tür stand. »Setz dich an den Tisch!«, befahl er kurz.
    Der Junge ließ den Kopf ein wenig sinken, drehte sich um und nahm seinen Platz ein. Beim Anblick seines schmalen Rückens fühlte Linda, wie die Wut in ihr aufstieg. Warum musste er das Kind auf diese Art zurechtweisen, genau wie letzte Nacht? Auch wenn der Kleine nicht direkt Angst vor seinem Onkel hatte, schien er ihm stumm zu gehorchen, als wäre er sein persönlicher Gott.
    Für einen Augenblick vergaß sie ihre Angst vor dem Gespräch mit ihrem neuen Chef, das unvermeidlich war, wenn sie erfahren wollte, was ihre Aufgaben auf der Farm war. Am liebsten hätte sie sich mit ihm wegen des Jungen angelegt. »Warte nur, bis du selbst Reithosen trägst, Michael«, meinte sie schließlich obenhin. »Da sehen deine Beine gleich zehn Zentimeter länger aus.«
    Michael fuhr herum und wollte schon den Mund öffnen, als Ralph Batley leise sagte: »Geh und hilf deiner Großmutter mit den Tellern.«
    Als der Junge eilig von seinem Stuhl glitt, kam Shane in die Halle geschlendert. »Hab ich da was von Reithosen gehört?«, rief er. »Hallo, guten Morgen!« Er strahlte Linda an. »Gut geschlafen?«
    »Ja, danke, sehr gut.« Linda erwiderte sein Lächeln.
    »Hab ich gerade gehört, dass Reithosen die Beine länger wirken lassen? Das kann ich nur bestätigen.« Er klopfte sich auf die Schenkel. »Ohne die würde ich aussehen, als würde ich auf den Knien herumrutschen.«
    Linda brach in Gelächter aus. Shane stimmte ein, warf aber – nicht viel anders als Michael – einen abschätzenden Blick auf ihre Beine.
    »Ich muss sagen, Sie haben gute Pferdebeine, äh, Sie wissen schon, was ich meine.«
    »Wenn wir für einen Augenblick aufhören könnten, über Miss Metcalfes Beine zu reden, Onkel Shane, können wir vielleicht mit dem Frühstück anfangen. Der Haferbrei steht schon auf dem Tisch.«
    Batleys Worte klangen völlig leidenschaftslos und trafen Linda daher umso tiefer. Sie hatte das Gefühl, unter seinem Blick zu schrumpfen. Seine grauen Augen sahen sie so kalt und unpersönlich an wie am Abend zuvor. War ihm denn jede menschliche Wärme fremd? Als er den Blick sinken ließ, ging sie in die Küche, um Mrs Batley zu helfen. Das verschaffte ihr die willkommene Gelegenheit, sich wieder zu fassen, bevor sie sich ihm gegenüber an den Tisch setzte.
    Die Mahlzeit verlief nahezu schweigend. Wie am Vorabend stellte Linda erstaunt fest, welche Mengen verzehrt wurden. Das Haus mochte einfach ausgestattet sein und nicht über modernen Komfort verfügen, aber die Freuden der Tafel wurden keineswegs vernachlässigt, ganz im Gegenteil.
    Als das Frühstück beendet war und sie beim Abräumen helfen wollte, sagte Mrs Batley leise: »Ich mache das schon. Sie werden draußen gebraucht.«
    Das war deutlich. Linda lief nach oben, griff nach ihrem Dufflecoat und stand schon nach wenigen Sekunden wieder auf dem Treppenabsatz. Vermutlich weil sie so schnell war, hörte sie ein Gespräch mit, das wohl nicht für ihre Ohren bestimmt war.
    »Nichts überstürzen, Junge. Vielleicht steckt ein harter Kern in ihr. Allerdings sah sie gestern im Feuerschein wirklich aus wie aus einem Werbefoto für Wintersport in der Schweiz.«
    »Genau!«
    Linda schlug die Hand vor den Mund. Genau! Das eine Wort sprach Bände. Mr Cadwells Worte kamen ihr in den Sinn: Will ein Arbeitspferd und bekommt ein Vollblutfüllen! Aber warum ließ sich Batley derart vom äußeren Anschein leiten und wartete nicht ab, wie sie sich bei der Arbeit anstellte? Nun, sie würde ihm schon zeigen, was in ihr steckte.
    Erhobenen Hauptes stapfte sie mit energischen Schritten zur Treppe, damit man sie nur ja nicht überhörte. Doch als sie die Stufen hinunterstieg und sah, wie die beiden Männer zur Küchentür gingen, sank ihr der Mut. Bleib ruhig, mahnte sie sich selbst. Verdirb dir nicht den Start.
    »Ich ziehe an der oberen Weide noch einen Draht ein«, verkündete Shane, als Linda in die Küche kam. Während er zur Tür hinausging, verabschiedete er sich mit einer Kopfbewegung von ihr, und obwohl er kein

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