Die Erfuellung
Wollten Sie da rein?«
»Ja, ich dachte, das wäre ein Lagerraum.«
»Nein, ist es nicht. Die Tür ist abgeschlossen.« Er deutete auf das Schloss. »Hier ist immer abgesperrt. Seit drei Jahren war keiner mehr hier drin.«
Drei Jahre. Schon wieder.
Erwartungsvoll blickte sie ihn an. Er ließ sich Zeit, blickte sie mit einem wissenden Lächeln an. Ihr war klar, dass er die Macht seines Wissens genoss, sie schmoren lassen wollte. Obwohl sie vor Neugier fast verging, hatte sie nicht die Absicht, ihn zu fragen, was es mit diesem Gebäude auf sich hatte. Und warten, bis er sich überlegt hatte, ob er es ihr erzählen wollte, würde sie auch nicht. Sie löste sich von der Tür, wobei sie sich an das Heu presste, um ihn nur ja nicht zu berühren.
»Ich wette, Sie kommen nie drauf«, sagte er in diesem Augenblick.
Trotz ihrer Vorsätze blieb sie stehen und sah ihn an. Er beugte sich vor. »Das war das Liebesnest vom Boss«, verkündete er mit einem schmierigen Grinsen.
Obwohl sie sich nicht von der Stelle rührte, fühlte sie, wie sie innerlich zurückwich. Das schien er zu merken.
»Sie glauben mir wohl nicht?«, fragte er beleidigt. »So was von misstrauisch! Aber es ist die reine Wahrheit. Er und seine Liebste haben ganze Tage allein da drin verbracht. Sie hatte ihren eigenen Schlüssel. Manchmal ist sie mir schon am frühen Morgen über den Weg gelaufen. Im Sommer fange ich nämlich bereits um sieben an. Verübeln kann man’s ihm nicht, die war wirklich zum Anbeißen. Damals hatten wir hier einen zusätzlichen Arbeiter, damit er selbst mehr Zeit für sein Vergnügen hatte.«
Linda wurde übel. Wenn sie diesen Mann und sein bösartiges Geschwätz nicht bald loswurde, konnte sie für nichts mehr garantieren. Sie drängte sich an ihm vorbei, blieb jedoch entsetzt vor dem Gang zwischen Heu und Kisten stehen, denn genau in diesem Augenblick erschien Ralph Batley oben an der Leiter. Mit bedächtigen Schritten kam er auf sie zu, wurde aber auf halbem Weg von Sep Watson abgefangen, der sich an ihr vorbeidrängte und mit leiser Stimme auf ihn einredete. Seine Worte waren kaum zu hören, ein paar Bruchstücke verstand sie doch.
»Das ist eine Lüge!«, fuhr sie empört auf. »Ich habe nicht herumgeschnüffelt.«
»Haben Sie doch.« Der Melker wandte sich nach ihr um, als sie die beiden Männer erreichte. »Ich bin Ihnen nach hier oben gefolgt. Sie haben versucht, die Tür zu öffnen.«
Sie funkelte ihn wütend an, bevor sie ihren Blick auf Ralph Batley richtete. »Ich habe versucht, die Tür zu öffnen, aber ich habe nicht herumgeschnüffelt. Als ich Heu holen wollte, habe ich die Tür gesehen und dachte, es wäre ein Lagerraum oder so etwas!«
»Oder so etwas!« Sep Watsons Kinn fuhr in die Höhe. Er wandte sich ab und redete in dem schleimigen Ton, den er für Batley reserviert zu haben schien, auf seinen Arbeitgeber ein. »Seit sie hier ist, fragt sie mir Löcher in den Bauch. Neugieriger geht es nicht.«
»Sie, Sie … widerlicher Lügner! Ich habe Ihnen nicht eine einzige Frage gestellt!«
»Nein? Und wie war das gestern im Kuhstall? Da konnten Sie gar nicht genug bekommen!«
»Das reicht!« Mit einer Kopfbewegung schickte Ralph Batley den Melker fort. Erst als dieser die Leiter hinuntergestiegen und seine grobschlächtige Gestalt durch das Scheunentor verschwunden war, wandte er sich Linda zu.
Das Bewusstsein, dass sie im Recht war, ließ sie ihre Wut vergessen. Ohne sich von seinem stählernen Blick einschüchtern zu lassen, verteidigte sie sich mit raschen Worten. »Mir ist es egal, ob Sie mir glauben oder nicht, aber ich habe ihn nie ausgefragt.«
»Ich glaube Ihnen.«
Damit hatte sie nicht gerechnet. Nicht nur seine Worte kamen unerwartet, auch sein Tonfall überraschte sie. Seine Stimme klang ruhig, geradezu freundlich, beruhigend, aber sein Blick wollte gar nicht dazu passen.
»Watson ist ein unverbesserlicher Schwätzer. Wenn er niemanden hat, mit dem er reden kann, führt er Selbstgespräche.« Der Anflug eines Lächelns lag auf seinen Lippen.
Ihr fliegender Atem beruhigte sich. Sie holte tief Luft und senkte den Blick. »Danke.«
Sie wollte schon gehen, als er die Hand ausstreckte, ohne sie jedoch zu berühren.
»Möchten Sie wissen, was ich in dem Raum hinten an der Scheune aufbewahre?«
Ihr wurde am ganzen Körper siedend heiß. Sie kam sich vor, als hätte er sie in flagranti bei einem unrechten Unterfangen erwischt. »Es ist nicht wichtig«, stammelte sie. »Es interessiert mich nicht.
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