Die Erfuellung
»sagen Sie nichts zu ihm. Er kann nichts dafür.«
Er sah sie einen Augenblick lang eindringlich an. Dann schob er sie unsanft beiseite und fasste nach den Griffen des Karrens. »Geben Sie Sarah ihr Futter«, wies er sie an. »Ich war gerade auf dem Weg zu ihr.« Damit schob er den Karren Richtung Schuppen.
Sie blieb länger, als unbedingt notwendig gewesen wäre, im Stall bei Sarah und deren Kalb. In der Box war es warm und ruhig, und der Anblick der kleinen Galloway-Kuh mit ihrem munteren Kleinen heiterte sie auf. Sarah schien sie zu mögen. Vielleicht erinnerte sie sich daran, dass die Hand, die ihren Rücken streichelte, in jener schweren Nacht ihren Kopf gehalten hatte. Auf jeden Fall war das ein angenehmer Gedanke, und Linda redete eine Weile mit leiser Stimme auf das Tier ein.
Als sie sich schließlich losriss und gerade die Tür öffnen wollte, wurde diese mit solcher Wucht aufgestoßen, dass Linda rückwärts gegen die Wand geschleudert wurde. Im schwachen Licht des Abends zeichnete sich die bedrohliche Gestalt von Sep Watson ab, der sich bereits für den Heimweg umgezogen hatte. Er kam nicht herein, sondern hielt die Tür mit seiner riesigen Pranke, kniff die Augen zu Schlitzen zusammen und schob den Unterkiefer bedrohlich vor.
»Sie halten sich wohl für ganz schlau, was?«, knurrte er. »Aber ich warne Sie, wenn Sie nicht gut aufpassen, sind Sie nicht lange hier. Und vergessen Sie nicht, wer das sagt.«
Damit knallte er ihr die schwere Tür erneut entgegen. Es gelang ihr nur knapp, den Aufprall mit den Händen abzufangen.
Dann war er fort, und sie blieb am ganzen Körper bebend zurück. Falls Watson Sie in irgendeiner Weise belästigt, müssen Sie mir das sagen. Das waren die Worte von Ralph Batley gewesen. Am liebsten hätte sie sich zu ihm geflüchtet und ihm gestanden, wie sehr sie sich vor diesem Menschen fürchtete.
Sie wartete einen Augenblick, bis sie sich wieder beruhigt hatte, und ging dann über den Hof zum Haus. Als sie sich der Hintertür näherte, kam Michael ihr nachgelaufen.
»Warten Sie!« Dann nahm er ihre Hand und blickte zu ihr auf. »Raten Sie mal, wo ich war.«
Sie schüttelte ratlos den Kopf.
»Wir haben die Milch nach unten in die Bucht gebracht. Onkel hat mich fahren lassen. Na ja, also auf jeden Fall durfte ich das Lenkrad halten … Bin ich hungrig! Großmama backt.« Er lief voraus und stürmte durch die Hintertür ins Haus. »Großmama! Großmama! Ich bin Auto gefahren.«
Als Linda in die Küche kam, hörte sie ihn mit seiner Großmutter plaudern. Überall roch es nach frischem Brot, die Luft war warm und ein wenig abgestanden. Als sie die Kapuze ihres Dufflecoats abnahm und die Knöpfe öffnen wollte, wurde ihr plötzlich so schwindlig, dass sie sich mit den Händen auf den weißen Holztisch am Ofen stützen musste. Ihre Knie wurden weich, und für einen Augenblick hatte sie Angst zu stürzen. Sie ließ den Kopf sinken.
Dann hörte sie Mrs Batleys freundliche Stimme neben sich. »Was ist los, Kind?« Wie lange sie wohl schon so gestanden hatte?
Linda schüttelte langsam den Kopf, aber Mrs Batley drehte sie zu sich herum und sah ihr ins Gesicht.
»Ist Ihnen schwindlig?«, fragte sie, knöpfte jedoch, ohne die Antwort abzuwarten, Lindas Dufflecoat auf und zog ihn ihr aus. »Setzen Sie sich hin, das ist die Wärme«, murmelte sie mitfühlend. »Das passiert oft, wenn man aus der Kälte hereinkommt. Aus dem Weg, Michael.« Sie schob ihren Enkel beiseite und führte Linda zum Kamin in der Halle, wo sie sie in einen Sessel setzte.
»Der Tee ist fertig, trinken Sie eine Tasse, dann geht es Ihnen gleich besser«, riet sie. Dann wandte sie sich an ihren Enkel, der neben Linda stand und sie besorgt anstarrte. »Lauf los, Michael, und hol deine Onkel. Sag ihnen, der Tee ist fertig. Ab mit dir!«
Michael verschwand nur widerwillig.
Mrs Batley brachte Linda eine Tasse. »Hier, trinken Sie. Sie hatten einen harten Tag.«
»Nein, es war nur die Kälte, wie Sie gesagt haben.« Linda nippte an ihrem Tee.
Mrs Batley hatte sich abgewandt und stellte die Teller auf den Tisch. »Mein Sohn hat mir von der Sache mit Sep Watson erzählt«, sagte sie mit dem Rücken zu Linda.
Linda ließ ihre Tasse sinken und sah die ältere Frau an. »Ich will keinen Ärger verursachen, Mrs Batley«, antwortete sie besorgt.
»Das weiß ich, Kind.« Mrs Batley machte sich immer noch mit den Tellern zu schaffen. »Sep ist ein guter Arbeiter, er kennt sich aus, da kann es keiner mit ihm aufnehmen.
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