Die Erfuellung
leblose Gestalt herab. Als Linda näher kam, hörte sie Shanes geradezu ängstliches Flüstern. »Im Namen Gottes! Was für ein Schlamassel! Du musst sie hier wegbringen, Junge, und zwar schnell. Das ist dir doch hoffentlich klar.«
»Wo soll sie hin?«
»Ruf die Cadwells an.«
»Das würde ihr bestimmt nicht gefallen. Wir müssen warten, bis sie wieder zu Bewusstsein kommt. Sie muss selbst entscheiden, was sie tun will.«
»Ralph, überleg dir das gut.«
Batley wandte sich um und begegnete Lindas Blick. Sie meinte, eine Spur von Verlegenheit in seinen Augen zu entdecken. Wahrscheinlich schämte er sich dafür, dass er immer noch in eine Frau verliebt war, die man ihm gestohlen hatte. Oder hatte sie ihn freiwillig wegen eines anderen verlassen? Gott sei Dank hatte Linda ihren Gefühlen nicht freien Lauf gelassen. Zum Glück hatte sie erkannt, dass ihn nur Einsamkeit zu ihr getrieben hatte, nicht Liebe. Aber wie es vernünftige Gedanken so an sich haben, brachte ihr diese Überlegung nur wenig Trost.
Shane nahm seinen Neffen fest am Arm. Seine Stimme klang streng, geradezu verärgert. »Hast du an deine Mutter gedacht? Was ist mit Maggie? Das wird sie in den Wahnsinn treiben. Sie hat schon genug Sorgen. Ruf die Cadwells an, Junge, die sollen sie abholen.«
»Vielleicht will sie nicht abgeholt werden, das musst du doch verstehen.«
Der alte Mann starrte seinen Neffen einen Augenblick lang an. »Was sie will, interessiert mich im Moment herzlich wenig. Willst du, dass hier die Hölle losbricht? Ich denke jetzt nur an Maggie. Sie hat wirklich genug durchgemacht, Junge.«
»Ich weiß, und ich auch, Onkel Shane. Ich habe auch genug von der Sache. Denkst du, ich hätte mir das hier ausgesucht?« Seine Stimme klang hart und bitter. »Nie im Leben hätte ich mir einen solchen Ärger aufgehalst! Aber ich kann ihnen nicht sagen, dass sie hier ist, solange sie bewusstlos ist. Sie muss selbst entscheiden. Wenn sie auf der Flucht ist, kann und will ich sie nicht aufhalten.«
Shane lockerte seinen Griff, und Ralph Batley wandte sich mit flehendem Blick zu Linda um. Allerdings musste sie nur allzu bald feststellen, dass das nichts mit ihr zu tun hatte. »Sie braucht trockene Kleidung, Decken und eine Wärmflasche. Könnten Sie …?«
Sie ließ ihn nicht ausreden, sondern wandte sich hastig ab. Aber noch bevor sie das Ende des Durchgangs zwischen Kisten und Wand erreicht hatte, hielt er sie auf, indem er ihr die Hand auf die Schulter legte. Im schwachen Licht der Laterne im Zimmer hinter ihnen sahen sie einander an. »Sie ist krank, ernsthafter krank, als Onkel Shane klar ist«, sprudelte er heraus. »Ihr Puls ist sehr schwach, vielleicht muss ich einen Arzt holen. Für mich ist das alles sehr schmerzlich, das können Sie nicht verstehen, Sie wissen nicht, was es bedeutet. Ich kannte sie vor Jahren, sie war eine … eine enge …«
»Eine enge Freundin von Ihnen. Ich verstehe, Mr Batley, es gibt keinen Grund für Erklärungen.« Ihre Stimme war so kühl und gelassen, dass sie selbst für ihre eigenen Ohren gleichgültig klang.
Er nahm die Hand von ihrer Schulter. »Dann ist es ja gut«, sagte er ausdruckslos.
Sie wandte sich ab. Während sie in der Dunkelheit über den Heuboden ging, rief sie sich ins Gedächtnis, wie leicht sie in die Tiefe stürzen konnte. Eine verzweifelte innere Stimme wollte ihr einreden, dass sich ohnehin niemand darum scheren würde. Sie hätte ebenso gut von der Steilküste springen können. Doch sie rief sich sofort zur Ordnung. So leicht würde sie sich nicht unterkriegen lassen.
Wieder musste sie sich über den Hof kämpfen. Der Regen hatte aufgehört, aber der Wind heulte immer noch und zerrte an den Gebäuden, als wollte er sie mit sich reißen.
Als sie nach Mrs Batley sah, stellte sie zu ihrer Erleichterung fest, dass sie eingeschlafen war. Michael hatte sich in einem Sessel am Feuer zusammengerollt und schlief ebenfalls. Sie beschloss, ihn dort zu lassen, bis sie das Gewünschte auf den Heuboden gebracht hatte.
In aller Eile lief sie nach oben, nahm ein warmes Kleid aus dem Schrank und ihren Morgenmantel von der Rückseite der Tür. Dann holte sie ein paar Decken aus dem Wäscheschrank im Bad, bevor sie wieder nach unten ging. In der Küche füllte sie eine Wärmflasche mit heißem Wasser und überlegte gerade, ob sie eine Tasse Suppe mitnehmen sollte, als sich die Tür öffnete und Shane hereinkam.
Noch nie hatte sie den alten Mann so finster dreinblicken sehen. »Das hat uns gerade
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