Die Erlösung der Frauen (German Edition)
ihrer Gesamtheit bemusterte, einschließlich ihres Charakters, so war dieser kleine Ausschnitt ihres Körpers das einzig Echte, das einzig individuelle, wenn man so will. Alles andere war den zeitgenössischen Konventionen zum Opfer gefallen. Die Hässlichkeit ihrer Möse machte Corinna einerseits verwundbar, weil sie das ästhetische Gesamtbild ruinierte. Doch andererseits war sie das einzige, was der hirnlosen Gefälligkeit trotzte, ihr einziger Stolz. Dies empfand Donald als tröstende Geste der Natur, als Zeichen ihrer erbarmungslosen Unbezwingbarkeit – somit als Triumph seiner eigenen Liebe zur Vielfalt. Die Gefallsucht der Frauen ist die widersprüchlichste aller erdenklichen Formen der Eitelkeit. Sie geriert sich zweckbetont und gleichzeitig autonom. Sie ist animalisch motiviert und wehrt sich gleichermaßen gegen alles, was natürlich ist. Behaarung, Schweiß und Fett, ein breiter Arsch, ein großer Kopf, Cellulite und menschliche Gerüche aller Art werden kategorisch verweigert. Diese Tendenz hatte sich in den letzten Jahren immer weiter verschärft, aber Donald konnte sich keinen Reim darauf machen.
Das ist eine Absage an die Schöpfung.
So wollte Johann es sehen und meinte dies durchaus positiv.
Im Übrigen waren auch schon die alten Ägypter ganzkörperrasiert. Das ist also völlig normal. Der Mensch will sich befreien aus seiner Abhängigkeit von der Natur. Das ist eine wichtige zivilisatorische Errungenschaft. Ein Streben nach Göttlichkeit.
Donald teilte diese Meinung nicht. Ihm erschien ein solches Gehabe als überaus kleingeistig, weil es zum Scheitern verurteilt war. Noch dazu machte es das Leben komplizierter als nötig. Frauen, die sich dafür schämen, Menschen zu sein und keine Göttinnen, sind schlecht im Bett und auch sonst mit ihren Gedanken ständig woanders: Wann gehe ich jetzt scheißen, ohne dass er es merkt? Ich lasse ihn lieber vorgehen, dann sieht er nicht, wie fett mein Arsch ist. Hoffentlich habe ich jetzt nichts zwischen den Zähnen.
Es genügt aber auch schon, dass sie einfach nur unzufrieden sind mit ihrem Aussehen. Das ist schlimmer als ein entstelltes Gesicht. Vor allem, wenn sie bereits ein gewisses Vertrauen aufgebaut haben, da sie sich dann nicht zu schade sind, im Gespräch pausenlos nach Bestätigung zu suchen. Außerdem wirkt die Penetranz, mit der sie ihre eigenen Makel vorbringen, nicht selten irgendwann überzeugend.
Schau dir diese dicken Beine an. So richtige Stampfer. Wie bei einem Elefanten.
Wenn man so was oft genug hört, ist man irgendwann dergleichen Meinung, obwohl einem diese Assoziation bislang völlig fern lag. Der beste Weg, solche peinlichen Momente zu vermeiden war der gleiche, der auch der Vermeidung aller anderen Unannehmlichkeiten mit dem weiblichen Geschlecht dienlich ist: Eben kein zu enges Vertrauensverhältnis zuzulassen.
Nachdem Donald das Opernhaus verlassen hatte, spazierte er die Maximilianstraße entlang und beobachtete mit aufmerksamen Blicken die Selbstinszenierung der Wohlstandsgesellschaft. Festlich gekleidete Paare liefen vorbei, hielten inne vor den Schaufenstern der Luxusshops, begutachteten Schuhe und Perlenketten. Autotüren wurden geöffnet und wieder geschlossen, die Anlasser der Sportwägen und Limousinen schnatterten. Überall murmelte man kultiviertes Zeug, noch ganz emotional aufgeladen von der Wucht des Orchesters und der großen Saga über Götter, Macht, Verrat. Wie armselig erschien doch dies alles! Jeder musste dem anderen irgendetwas beweisen, sich profilieren und individuell sein. Die ganze Kultur, das Soziale, die Konventionen und Wertvorstellungen, warum hatte man sich da überhaupt drauf geeinigt? Erneut wurde Donald von der für ihn eigentlich untypischen Melancholie übermannt, die ihn schon am Tag nach Gabrieles Anruf geplagt hatte. Eine Melancholie der Klarheit, so als präsentiere sich die Welt um ihn herum aus einem Guss, ein verworrenes und doch in sich stimmiges Konglomerat aus Erscheinungsformen von Materie und Idee. Was aber jenes Chaos zusammenhielt waren keine physikalischen Kräfte und keine kulturellen Systeme mehr, sondern eine unbarmherzige Last, die alles aufeinander schob, zusammen presste bis hin zur völligen Unbeweglichkeit, zäh und ölig, so waberte die Welt in ihrem Inneren und zeichnete ein Bild der Traurigkeit. Nach Hause zu gehen war bei weitem keine Option. Es gab nur eines, was ihn jetzt zu trösten vermochte: Der Geruch einer feuchten Muschi. Als er sein Handy aus der Tasche zog
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