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Die Ernte

Die Ernte

Titel: Die Ernte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Nicholson
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verbracht haben, genossen. Aber ich glaube, dass es besser ist, wenn ich dir etwas sage, bevor wir weitermachen.«
    Bill sah, wie sie vor seinen Augen welkte. Sie senkte ihre Augenlider und ihre dunklen, feinen Wimpern zitterten wie die Schmetterlinge, die in unregelmäßigen Formen über das Gras flogen. Sie beugte ihren Kopf wie eine von diesen englischen Königinnen, die bereit für ihre Enthauptung waren. Sie nickte sanft, so als ob sie hoffte, dass der Schlag kurz und schmerzlos sein Ziel finden würde.
    »Ich war schon einmal verheiratet«, sagte er schnell, um die Last von seinen Schultern zu haben. »Und ich habe mich scheiden lassen. In den Augen des Herrn habe ich gesündigt, Nettie.«
    Sie blinzelte ein paar Mal. »Ist das dein großes, dunkles Geheimnis?«
    Bill bereitete sich auf ihren Gegenangriff vor, auf das grausame weibliche Gelächter, das ihn wie ein Schwert durchschneiden würde. Aber es kam nicht.
    »Bill, jeder macht mal einen Fehler«, sagte sie. »Und das Herz Gottes ist größer als der Himmel. Da gibt es genug Platz für die Vergebung. Das ist ja das Schöne an Gottes Liebe.«
    Bill blickte in den Himmel, in dem einige dünne Wolken wie Wattebäusche zu sehen waren.
    Er wischte den Schweiß von seinen Handflächen in die Decke. »Ich hatte Angst, dass du auf mich herabschauen könntest wie auf einen Heuchler, weil ich mich doch so für die Kirche einsetze und so. Während in Wirklichkeit meine Seele schwarz vor Sünde ist.«
    Und jetzt lachte Nettie wirklich, aber es war ein erleichtertes Lachen, kein verletzendes. »Bill, ich habe ein paar dunkle Geheimnisse, die das deinige weit übertreffen. Und eines Tages werde ich dir davon erzählen. Aber jetzt essen wir, bevor die Ameisen merken, dass wir hier sind.«
    Die Anspannung, die Bill seit dem Moment ihrer Ankunft verspürt hatte, verschwand in der lauen Märzbrise, so als ob Gott sie mit einer Handbewegung vertrieben hätte.
    »Zu spät«, sagte Bill und blies eine Ameise von seinem Handrücken. Sie landete im Kartoffelpüree. Nettie musste wieder lachen und ihr Lachen klang so natürlich wie der Gesang der Spatzen. Bill lächelte sie an und hob den Teller mit dem Brathühnchen. Sein Lächeln fror aber ein, als er sah, dass Nettie eine Flasche Wein aus dem Korb zog. Er blickte mitten in ihre dunklen, leuchtenden, neugierigen und verführerischen Augen.
    »Ich hoffe, du missbilligst das nicht.« Entschlossen machte sie sich daran, die Flasche zu entkorken. Ihr Gesicht rötete sich vor Anstrengung, als sie den Korken aus der Flasche zog. »Das ist eines meiner dunklen Geheimnisse.«
    Das Lächeln auf Bills Gesicht wollte sich verziehen, aber es blieb in sein Gesicht gemeißelt. Sie leerte das But Jesu in zwei Plastikbecher.
    Nein, es ist Weißwein. Nur das Blut von toten Trauben. Macht es dir etwas aus, Jesus? Du hast es ja auch getrunken. Aber was, wenn es mich schwach macht, anfällig für die Versuchungen des Teufels? Oder ist dies ein Test?
    Aber dann nahm er den Becher von Nettie und prostete ihr zu. Er schwamm in ihren schönen Augen, schmeckte den Wein auf seinen Lippen und in seinem Hals und dann wärmte er eine kleine Stelle in seinem Magen. Er nippte gleich noch einmal, nervös, und die Wärme verteilte sich in seinem Körper.
    Sie aßen das Hühnchen, sie die Brust, er die zwei Schenkel und einen Flügel. Bill aß das Püree auf seinem Teller, das Nettie mit einer Sauce bedeckt hatte, die sogar kalt gut schmeckte. Dann aßen sie selbstgebackene Kekse, die so gut schmeckten, wie die von Bills Großmutter, bevor sie einen Mikrowellenherd bekommen hatte. Der süße Geschmack der Himbeertörtchen hing bald an seinen Lippen und er fragte sich, ob sein Lächeln auch so rot wie das von Nettie war.
    Sie lagen Gesicht an Gesicht auf der Decke, auf ihre Ellbogen gestützt, und unterhielten sich, während sie von den warmen Fingern der Sonne gestreichelt wurden. Dabei teilten sie sich ihr drittes Glas Wein. Bill zeigte auf den Zweig einer Platane und einen hellen, roten Punkt darauf.
    »Männlicher Dompfaff«, sagte er. »Gleich kommt noch einer.«
    Ein kleiner brauner Vogel tauchte aus dem Unterholz auf und der Dompfaff nahm die Verfolgung auf.
    »Der weiß auch, was gut ist«, sagte Nettie.
    Bill war verblüfft. Die Nettie, die er gekannt hatte und mit der er in der Bibel gelesen hatte, musste wohl in Windshake geblieben sein, und dieses verruchte Weib war wahrscheinlich vom Teufel geschickt worden, um ihn in den Sündenpfuhl zu ziehen.

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