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Die Eroberung von Plassans - 4

Die Eroberung von Plassans - 4

Titel: Die Eroberung von Plassans - 4 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Jalousien, das am hintersten Ende einer Sackgasse in einem Winkel der Wälle angebaut war.
    In der folgenden Nacht bekam Marthe einen entsetzlichen Anfall. Am Morgen hatte sie einer langen religiösen Feierlichkeit beigewohnt. Olympe war sehr daran gelegen gewesen, bis zum Ende zuzusehen. Als Rose und die Mieter auf die herzzerreißenden Schreie, die sie ausstieß, herbeieilten, fanden sie sie mit gespaltener Stirn am Fußende des Bettes ausgestreckt. Mouret kniete inmitten der Bettdecken und schauderte.
    »Diesmal hat er sie umgebracht!« schrie die Köchin.
    Und obgleich er im Hemd war, nahm sie ihn in ihre Arme, schob ihn durch das Zimmer bis in sein Büro, dessen Tür sich auf der anderen Seite des Treppenabsatzes befand; sie ging zurück, um ihm eine Matratze und Decken hinzuwerfen. Trouche war fortgerannt, um Doktor Porquier zu holen. Der Doktor verband Marthes Wunde; ein paar Millimeter tiefer, sagte er, und der Schlag wäre tödlich gewesen. Unten in der Diele erklärte er vor aller Welt, daß man handeln müsse, daß man Frau Mourets Leben nicht länger der Willkür eines Tobsüchtigen überlassen könne.
    Marthe mußte am nächsten Tag das Bett hüten. Sie phantasierte noch ein bißchen; sie sah eine Eisenhand, die ihr mit einem flammenden Schwert den Schädel spaltete. Rose schlug es Mouret rundweg ab, ihn herein zu lassen. Sie stellte ihm das Mittagessen im Büro auf den staubigen Tisch. Er aß nicht. Er betrachtete stumpfsinnig seinen Teller, als die Köchin drei schwarzgekleidete Herren zu ihm hineinführte.
    »Sind Sie die Ärzte?« fragte er. »Wie geht es ihr?«
    »Es geht ihr besser«, antwortete einer der Herren.
    Mouret schnitt mechanisch Brot, als wolle er zu essen beginnen.
    »Ich hätte gern die Kinder da«, murmelte er. »Sie könnten sie pflegen, wir wären nicht so allein … Seit die Kinder fort sind, ist sie krank … Mir geht es auch nicht gut.« Er hatte einen Bissen Brot zum Mund geführt, und dicke Tränen liefen über seine Wangen.
    Da warf der Herr, der bereits gesprochen hatte, einen Blick auf seine beiden Begleiter und sagte zu Mouret:
    »Möchten Sie, daß wir Ihre Kinder holen?«
    »Ich möchte gern!« rief Mouret und stand auf. »Brechen wir gleich auf.«
    Er sah im Treppenhaus Trouche und seine Frau nicht, die sich über das Geländer des zweiten Stocks beugten und ihm bei jeder Stufe mit brennenden Augen nachblickten. Olympe kam hinter ihm schnell herunter, stürzte sich in die Küche, wo Rose sehr aufgeregt durch das Fenster spähte. Und als ein Wagen, der vor der Tür wartete, Mouret mitgenommen hatte, eilte sie, immer vier Stufen auf einmal nehmend, die zwei Stockwerke wieder hinauf, nahm Trouche bei den Schultern, ließ ihn um den Treppenabsatz herum tanzen und barst schier vor Freude.
    »Wegspediert!« schrie sie.
    Marthe blieb acht Tage im Bett. Ihre Mutter kam sie jeden Nachmittag besuchen und war von außergewöhnlicher Zärtlichkeit. Die Faujas, die Trouches lösten sich an ihrem Bett ab. Sogar Frau de Condamin stattete ihr mehrere Besuche ab. Von Mouret war nicht mehr die Rede. Rose antwortete ihrer Herrin, Herr Mouret habe nach Marseille reisen müssen; aber als Marthe das erste Mal hinuntergehen und sich im Wohnzimmer an den Tisch setzen konnte, wunderte sie sich, fragte mit beginnender Unruhe nach ihrem Mann.
    »Hören Sie, liebe Frau, tuen Sie sich keinen Schaden an«, sagte Frau Faujas. »Sie werden einen Rückfall bekommen. Man hat einen Entschluß fassen müssen. Ihre Freunde haben sich beraten und in Ihrem Interesse handeln müssen.«
    »Sie brauchen ihn nicht zu bedauern«, rief Rose grob, »nach dem Stockschlag, den er Ihnen auf den Kopf gegeben hat. Das Viertel atmet auf, seit er nicht mehr da ist. Man fürchtete immer, er würde Feuer legen oder mit einem Messer auf die Straße hinausgehen. Ich versteckte alle meine Küchenmesser; Herrn Rastoils Dienstmädchen ebenfalls … Und Ihre arme Mutter, für die war das kein Leben mehr … Ich sage Ihnen, die Leute, die Sie während Ihrer Krankheit besuchten, alle Damen, alle Herren, versicherten mir ausdrücklich, als ich sie hinausbegleitete: ›Plassans ist eine große Last los. Eine Stadt ist stets in Angst und Sorge, wenn ein solcher Mann frei herumläuft.‹«
    Marthe hörte diesem Redeschwall zu, hatte die Augen weit aufgerissen, war furchtbar blaß. Sie hatte ihren Löffel fallen lassen; sie schaute durch das offene Fenster ihr gegenüber, als habe irgendeine Vision, die hinter den Obstbäumen des Gartens

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