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Die Eroberung von Plassans - 4

Die Eroberung von Plassans - 4

Titel: Die Eroberung von Plassans - 4 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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sich nicht von seinem Stuhl weggerückt hatte und zum Laubengang hochblickte.
    »Im Norden«, erklärte der Doktor, »bringt man ihn nur zur Reife, indem man die Trauben von den umliegenden Blättern befreit.«
    Über diesen Punkt entspann sich eine Auseinandersetzung; da stieß nun Séverin den Schrei aus:
    »Es brennt! Es brennt!«
    Aber er hatte das Taschentuch so einfältig hinter die Gartentür gehängt, daß Abbé Surin es sofort fand. Als dieser das Taschentuch versteckt hatte, durchstöberte die Schar annähernd eine halbe Stunde lang vergebens den Garten; sie mußten darauf verzichten, es zu finden. Da zeigte der Abbé es mitten in einem Beet, so kunstvoll zusammengerollt, daß es einem weißen Stein glich. Das war der hübscheste Streich des Nachmittags.
    Die Neuigkeit, daß die Regierung darauf verzichtete, einen Kandidaten zu unterstützen, durchlief die Stadt, wo sie eine große Aufregung hervorrief. Diese Zurückhaltung hatte die logische Folge, die verschiedenen politischen Gruppen zu beunruhigen, denn jede von ihnen rechnete auf die Zersplitterung durch eine offizielle Kandidatur, um so den Sieg davontragen zu können. Marquis de Lagrifoul, Herr de Bourdeu, der Hutmacher Maurin würden sich die Stimmen anscheinend in drei annähernd gleiche Drittel teilen müssen. Es würde bestimmt zu einer Stichwahl kommen, und Gott wisse, welcher Name aus dem zweiten Wahlgang hervorgehen werde! Zwar wurde von einem vierten Kandidaten gesprochen, dessen Namen niemand genau sagen konnte, einem Mann guten Willens, der vielleicht einwilligen werde, alle Welt in Einklang zu bringen. Die Wähler von Plassans, die von Angst befallen waren, seit sie sich völlig frei fühlten, wünschten nichts lieber, als sich zu verständigen und einen ihrer Mitbürger auszusuchen, der den verschiedenen Parteien genehm wäre.
    »Es ist nicht recht von der Regierung, uns wie ungezogene Kinder zu behandeln«, sagten die schlauen Politiker vom Handelsklub in gereiztem Ton. »Sollte man nicht meinen, die Stadt sei ein Revolutionsherd! Hätten die Behörden soviel Takt gehabt, einen möglichen Kandidaten zu unterstützen, so hätten wir alle für ihn gestimmt … Der Unterpräfekt hat von einer Lektion gesprochen. Nun gut, wir nehmen die Lektion nicht hin. Wir werden unsern Kandidaten selber zu finden wissen, wir werden zeigen, daß Plassans eine Stadt des gesunden Menschenverstandes und der wahren Freiheit ist.«
    Und man suchte. Aber die von Freunden und Beteiligten vorgebrachten Namen ließen die Verwirrung nur anwachsen. Binnen einer Woche hatte Plassans mehr als zwanzig Kandidaten. Frau Rougon, die unruhig wurde und nicht mehr begriff, suchte Abbé Faujas auf, weil sie wütend war auf den Unterpräfekten. Dieser Péqueur sei ein Esel, ein eitler Geck, eine Marionette, gut dazu, einen amtlichen Salon zu zieren; er habe schon einmal zugelassen, daß die Regierung geschlagen wurde, er würde sie durch eine Haltung lächerlicher Gleichgültigkeit vollends bloßstellen.
    »Beruhigen Sie sich«, sagte der Priester und lachte. »Dieses Mal begnügt sich Herr Péqueur des Saulaies damit, zu gehorchen … Der Sieg ist gewiß.«
    »Aha! Sie haben keinen Kandidaten!« rief sie. »Wo ist Ihr Kandidat?«
    Da entwickelte er seinen Plan.
    Als einsichtige Frau billigte sie ihn; aber den Namen, den er ihr anvertraute, nahm sie mit der größten Überraschung auf.
    »Wie!« sagte sie. »Den haben Sie ausgesucht? – Niemand hat je an ihn gedacht, versichere ich Ihnen.«
    »Ich hoffe es sehr«, fuhr der Priester fort und lächelte von neuem. »Wir brauchen einen Kandidaten, an den niemand denkt, so daß ihn jedermann hinnehmen kann, ohne zu glauben, er setze sich Unannehmlichkeiten aus.« Mit der Ungezwungenheit eines starken Menschen, der einwilligt, sein Verhalten zu erklären, sagte er dann: »Ich habe Ihnen sehr zu danken. Sie haben mich viele Fehler vermeiden lassen. Ich hatte das Ziel im Auge, ich sah die Fallstricke nicht, die vielleicht genügt hätten, daß ich mir die Glieder breche … Gott sei Dank! Dieser ganze kindische Kleinkrieg ist zu Ende; ich werde mich wieder nach Belieben bewegen können … Was meine Wahl anbetrifft, so ist sie gut, seien Sie davon überzeugt. Gleich nach meinem Eintreffen in Plassans habe ich einen Mann gesucht, und ich habe nur diesen gefunden. Er ist geschmeidig, sehr fähig, sehr rührig; er hat es verstanden, sich bislang mit niemandem zu überwerfen, was bei einem gewöhnlichen Ehrgeizling nicht der Fall wäre.

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