Die Eroberung von Plassans - 4
Geschicklichkeit eines Irren, der instinktiv vorsichtig ist. Bald gab es vom Keller bis zum Boden keinen Winkel mehr, den er nicht durchschnüffelt hatte. Marthe war nicht im Haus, die Kinder auch nicht, Rose auch nicht. Das Haus war leer, das Haus konnte einstürzen.
Mouret setzte sich zwischen dem ersten und dem zweiten Stock auf eine Treppenstufe. Er unterdrückte den mächtigen Atem, der ihm ohne sein Zutun die Brust schwellte. Er wartete, hatte die Hände im Schoß liegen, den Rücken an das Geländer gelehnt, die Augen in der Nacht geöffnet, war ganz der fixen Idee hingegeben, die er geduldig reifen ließ. Seine Sinne wurden so scharf, daß er die kleinsten Geräusche des Hauses erlauschte. Unten schnarchte Trouche; Olympe blätterte die Seiten ihres Romans um, wobei das Papier unter ihrem Finger leise raschelte. Im zweiten Stock kratzte Abbé Faujas Feder wie Insektenbeine, während im Nachbarzimmer Frau Faujas, die eingeschlafen war, diese schrille Musik mit ihrem starken Atem zu begleiten schien. Horchend auf der Lauer liegend, ließ Mouret eine Stunde verstreichen. Olympe erlag als erste dem Schlummer; er hörte, wie der Roman auf den Teppich fiel. Dann legte Abbé Faujas seine Feder hin, zog sich aus unter diskretem Pantoffelschlurfen; die Kleidungsstücke glitten weich zu Boden, das Bett knarrte nicht einmal. Das ganze Haus war zu Bett gegangen. Aber der Irre spürte an dem zu dünnen Atem des Abbés, daß er nicht schlief. Nach und nach wurde dieser Atem stärker. Das ganze Haus schlief.
Mouret wartete noch eine halbe Stunde. Er horchte noch immer sehr sorgsam, als habe er gehört, wie die vier dort im Bett liegenden Leute mit immer schwerer werdendem Schritt in die Erstarrung tiefen Schlafs hinabstiegen. Das unter der Last der Finsternis erdrückte Haus gab sich preis. Da stand er auf, gelangte langsam in die Diele.
Er brummte:
»Marthe ist nicht mehr da, das Haus ist nicht mehr da, nichts ist mehr da.«
Er öffnete die Tür zum Garten; er ging zu dem kleinen Gewächshaus hinunter. Dort räumte er planmäßig die großen, vertrockneten Buchshaumstraucher heraus; er trug riesige Arme voll davon weg, die er hinaufschaffte, vor den Türen der Trouches und der Faujas aufstapelte. Da ihn ein Bedürfnis nach großer Helligkeit erfaßt hatte, zündete er in der Küche alle Lampen an, die er auf den Tischen der Zimmer, auf den Treppenabsätzen und längs der Flure aufstellte. Dann schaffte er den Rest der Buchsbaumbündel herbei. Die Haufen reichten hoher als die Türen. Aber als er einen letzten Gang machte, blickte er hoch und gewahrte die Fenster. Da kehrte er um, um die Obstbäume zu holen, und errichtete unter den Fenstern einen Scheiterhaufen, wobei er sehr geschickt für Luftdurchzug sorgte, damit die Flamme schon lodere. Der Scheiterhaufen kam ihm klein vor.
»Es ist nichts mehr da«, sagte er immer wieder. »Es darf nichts mehr dasein.«
Er besann sich, er stieg in den Keller hinunter, begann wieder mit seinen Gängen. Jetzt brachte er die Vorrate an Heizung für den Winter wieder hinauf: Kohlen, Rebholz, Brennholz. Der Scheiterhaufen unter den Fenstern wurde großer. Bei jedem Packen Rebholz, das er sauber zurechtlegte, wurde er von lebhafterer Genugtuung durchschüttelt. Darauf verteilte er das Brennmaterial in den Räumen des Erdgeschosses, ließ einen Haufen davon in der Diele, einen anderen in der Küche. Schließlich stieß er die Möbel um, schob sie auf die Haufen. Eine Stunde hatte ihm für diese harte Arbeit genügt. Ohne Schuhe und mit beladenen Armen eilend, war er überallhin geglitten, hatte alles mit solcher Geschicklichkeit herbeigeschleppt, daß er nicht einen einzigen Holzscheit zu heftig fallen gelassen hatte. Er schien mit einem neuen Leben, einer Logik ungewöhnlicher Bewegungen ausgestattet zu sein. Er war in seiner fixen Idee sehr stark, sehr schlau.
Als alles fertig war, erfreute er sich einen Augenblick an seinem Werk. Er ging von Haufen zu Haufen, fand Gefallen an der viereckigen Form der Scheiterhaufen, ging um jeden von ihnen herum, klaschte sacht in die Hände und sah äußerst zufrieden aus. Da ein paar Kohlenstückchen die Treppe entlang heruntergefallen waren, holte er schleunigst einen Besen, fegte den schwarzen Staub sauber von den Stufen weg. So beendete er seine Besichtigung wie ein sorgsamer Bürger, der die Dinge zu erledigen versteht, wie sie erledigt werden müssen, auf überlegte Art und Weise. Das Behagen verwirrte allmählich wieder seine Sinne; er
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