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Die Eroberung von Plassans - 4

Die Eroberung von Plassans - 4

Titel: Die Eroberung von Plassans - 4 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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der Hand eine unbestimmte Gebärde.
    »Meine liebe Madame Rougon«, sagte er, »Sie brauchen viel Mut.«
    Félicité brach in Schluchzen aus.
    »Das ist das Ende«, fuhr er mit leiserer Stimme fort. »Seit langem habe ich diesen traurigen Ausgang erwartet, muß ich Ihnen heute gestehen. Beide Lungenflügel der armen Madame Mouret waren angegriffen, und zur Schwindsucht kam bei ihr als Komplikation ein Nervenleiden hinzu.« Er hatte sich gesetzt und behielt in seinen Mundwinkeln das Lächeln des wohlerzogenen Arztes bei, der sich sogar in Anbetracht des Todes höflich zeigt. »Verzweifeln Sie nicht, machen Sie sich nicht krank, liebe gnädige Frau. Die Katastrophe war vorauszusehen, ein Umstand konnte sie täglich beschleunigen. Die arme Madame Mouret muß wohl schon in ihrer Jugend gehustet haben, nicht wahr? Ich schätze, daß sie die Keime des Übels jahrelang in sich getragen hat. In der letzten Zeit, vor allem seit drei Jahren, machte die Schwindsucht in ihr schreckliche Fortschritte. Und was für ein Mitleid! Was für eine Inbrunst! Ich war gerührt, sie so gottselig dahingehen zu sehen … Was wollen Sie? Die Ratschlüsse Gottes sind unerforschlich, die Wissenschaft ist recht oft ohnmächtig.« Und da Frau Rougon noch immer weinte, verschwendete er die herzlichsten Tröstungen an sie; er wollte unbedingt, daß sie eine Tasse Lindenblütentee trinke, um sich zu beruhigen. »Sie dürfen sich nicht grämen, ich bitte Sie inständigst«, sagte er mehrmals. »Ich versichere Ihnen, daß sie ihr Leiden schon nicht mehr spurt; sie wird auf diese Weise ruhig einschlafen, sie wird erst im Augenblick des Sterbens wieder zu Bewußtsein kommen … Im übrigen lasse ich Sie nicht im Stich; ich bleibe da, obgleich jetzt alle Pflege nutzlos ist. Ich bleibe als Freund, Hebe gnädige Frau, als Freund, nicht wahr?« Er machte es sich für die Nacht in einem Sessel bequem.
    Félicité beruhigte sich etwas. Nachdem Doktor Porquier ihr zu verstehen gegeben hatte, daß Marthe nur noch ein paar Stunden zu leben habe, kam ihr der Gedanke, Serge aus dem Seminar holen zu lassen, das in der Nachbarschaft lag. Als sie Rose bat, sich ins Seminar zu begeben, weigerte sich diese zuerst.
    »Wollen Sie ihn denn auch umbringen, den armen Kleinen?« sagte sie. »Das wurde ihm einen zu heftigen Schlag versetzen, wenn er mitten in der Nacht aufgeweckt wird, um eine Tote zu sehen … Ich will nicht sein Henker sein.« Rose grollte ihrer Herrin. Seit diese im Sterben lag, ging sie wütend um das Bett herum und schubste die Tassen und Flaschen mit heißem Wasser hin und her. »Ist denn überhaupt Sinn und Verstand dabei, wenn, man das tut, was Madame getan hat?« setzte sie hinzu. »Niemand kann dafür, wenn sie sich bei Herrn Mouret den Tod geholt hat. Und jetzt muß alles in heller Aufregung sein, sie bringt uns alle zum Weinen … Nein, wahrhaftig, ich will nicht, daß der Kleine aus dem Schlaf gerissen wird.«
    Indessen begab sie sich schließlich doch ins Seminar. Doktor Porquier hatte sich vor dem Feuer ausgestreckt; mit halbgeschlossenen Augen fuhr er fort, Frau Rougon mit guten Worten zu überschütten. Marthes Seiten begannen sich unter einem leichten Röcheln zu heben. Onkel Macquart, der sich seit zwei reichlichen Stunden nicht wieder hatte blicken lassen, stieß leise die Tür auf.
    »Wo kommen Sie denn her?« fragte ihn Félicité, die ihn in eine Ecke führte.
    Er antwortete, daß er seinen Einspänner und sein Pferd im Gasthaus »TroisPigeons38« untergestellt habe. Aber er hatte so flinke Augen, sah so teuflisch heimtückisch aus, daß sie wieder von tausend Mutmaßungen erfaßt wurde. Sie vergaß ihre sterbende Tochter, witterte einen Schurkenstreich, den sie zu ihrem Nutzen in Erfahrung bringen mußte.
    »Man möchte sagen, Sie hätten jemanden verfolgt und belauert«, begann sie wieder, als sie seine schmutzige Hose bemerkte. »Sie verbergen mir etwas, Macquart. Das ist nicht recht. Wir sind immer nett zu Ihnen gewesen.«
    »O ja! Nett!« murmelte der Onkel grinsend. »Das sagen Sie. Rougon ist ein Geizkragen; in der Angelegenheit mit dem Kornfeld hat er mir nicht getraut, hat er mich wie den verworfensten Kerl behandelt … Wo steckt Rougon denn? Er läßt sich verhätscheln, der schert sich was um die Mühe, die man sich wegen der Familie macht.«
    Das Lächeln, mit dem er diese letzten Worte begleitete, beunruhigte Félicité lebhaft. Sie blickte ihm ins Gesicht.
    »Was für Mühe haben Sie sich wegen der Familie denn gemacht?«

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