Die Eroberung von Plassans - 4
Abbé.« Sie hatte den Kopf gesenkt, war durch den Blick, den sie auf sich fühlte, gleichsam bedrückt. Als sie den Kopf wieder hob und den Augen des Priesters begegnete, faltete sie die Hände mit der Gebärde eines Kindes, das um Gnade bittet; sie brach in Schluchzen aus.
Der Priester, der noch immer schweigsam aufrecht dastand, ließ sie weinen.
Da fiel sie vor ihm auf die Knie, weinte in ihre geschlossenen Hände, mit denen sie ihr Gesicht bedeckte.
»Ich bitte Sie, stehen Sie auf«, sagte Abbé Faujas sanft. »Vor Gott sollen Sie niederknien.«
Er half ihr aufzustehen, er setzte sich neben sie. Dann sprachen sie lange mit leiser Stimme. Es war gänzlich Nacht geworden, die Ampeln durchstachen mit ihren goldenen Spitzen die schwarzen Tiefen der Kirche. Allein das Gemurmel ihrer Stimmen legte einen Schauder vor die SainteAurélieKapelle. Nach jeder schwachen und gebrochenen Antwort Marthes war die lange dahinfließende, pausenlose, überströmende Rede des Priesters zu hören. Als sie sich endlich erhoben, schien er eine Gnade zu verweigern, die sie erbat; er führte sie zur Tür hin, wobei er die Stimme hob:
»Nein, ich kann nicht, versichere ich Ihnen«, sagte er. »Es ist besser, Sie nehmen Abbé Bourrette.«
»Ich hätte doch Ihre Ratschläge dringend nötig«, flüsterte Marthe flehend. »Mir scheint, daß mir mit Ihnen alles leichter werden würde.«
»Sie täuschen sich«, erwiderte er mit derberer Stimme. »Ich habe im Gegenteil Angst, daß meine Seelsorge Ihnen anfangs schlecht bekommen würde. Abbé Bourrette ist der Priester, den Sie brauchen, glauben Sie mir … Später werde ich Ihnen vielleicht eine andere Antwort geben.«
Marthe gehorchte. Am nächsten Tag waren die Betschwestern von SaintSaturnin höchst erstaunt, als sie sahen, wie Frau Mouret vor Abbé Bourrettes Beichtstuhl niederkniete. Zwei Tage danach war in Plassans nur von dieser Bekehrung die Rede. Abbé Faujas˜ Name wurde von gewissen Leuten nur noch mit feinem Lächeln ausgesprochen; aber alles in allem war der Eindruck sehr vorteilhaft für den Abbé. Frau Rastoil beglückwünschte Frau Mouret in Gegenwart des ganzen Komitees; Frau Delangre wollte darin einen ersten Segen Gottes sehen, der die Wohltätigkeitsdamen für ihr gutes Werk belohnte, indem er das Herz der einzigen unter ihnen rührte, die die Gebote der Kirche nicht befolgte, während Frau de Condamin Marthe beiseite nahm und zu ihr sagte: »Sehen Sie, meine Liebe, Sie haben recht gehabt; für eine Frau ist das notwendig. Zudem muß man wohl wirklich zur Kirche gehen, sobald man ein bißchen in die Stadt geht.«
Man verwunderte sich nur, daß sie sich Abbé Bourrette ausgesucht hatte. Der ehrenwerte Mann nahm fast nur den kleinen Mädchen die Beichte ab. Die Damen fanden ihn »so wenig unterhaltend«! Am Empfangsdonnerstag der Rougons sprach man in einer Ecke des grünen Salons darüber, als Marthe noch nicht eingetroffen war, und Frau Paloque fand mit ihrer Lästerzunge das letzte Wort dieser Klatschereien.
»Abbé Faujas hat gut getan, sie nicht für sich zu behalten«, sagte sie mit einem Flunsch, der sie noch abscheulicher machte. »Abbé Bourrette rettet alles und hat nichts Anstößiges.«
Als Marthe an jenem Tag eintraf, ging ihre Mutter ihr entgegen und küßte sie vor der Gesellschaft mit gewollter Zärtlichkeit. Sie selbst hatte sich am Tag nach dem Staatsstreich mit Gott ausgesöhnt. Es schien ihr, Abbé Faujas könnte sich von nun an in den grünen Salon wagen; aber er ließ sich entschuldigen, sprach von seinen Beschäftigungen, von seiner Liebe zur Einsamkeit. Sie glaubte zu verstehen, daß er sich eine triumphale Rückkehr für den folgenden Winter aufhob. Im übrigen wuchsen die Erfolge des Abbé. In den ersten Monaten hatte er als Beichtkinder nur die Betschwestern vom Kräutermarkt gehabt, der hinter der Kathedrale abgehalten wurde, Salathändlerinnen, deren Mundart er ruhig anhörte, ohne sie immer zu verstehen; während er nun, vor allem seit dem durch das Marienwerk verursachten Gerede, dienstags und freitags einen ganzen Kreis von Bürgersfrauen in Seidenkleidern rings um seinen Beichtstuhl knien sah. Als Marthe unbefangen erzählt hatte, daß er sie nicht hatte haben wollen, tat Frau de Condamin etwas Unüberlegtes; sie verließ ihren Beichtvater, den Ersten Vikar von SaintSaturnin, den dieses Imstichlassen in Verzweiflung versetzte, und ging geräuschvoll zu Abbé Faujas über. Ein solch aufsehenerregender Fall führte letzteren endgültig
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