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Die Erscheinung

Titel: Die Erscheinung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Danielle Steel
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Weihnachtsmorgen erwachte, erschien ihm die nächtliche Vision wie ein Traum, und er beschloss, niemandem davon zu erzählen. Sonst würde man ihm vorwerfen, er sei betrunken gewesen. Und doch - er hatte die weiß gekleidete Gestalt so klar gesehen, ihre Nähe so deutlich gespürt und sogar vermutet, sie wäre eine Nachbarin, die ihn mutwillig erschrecken wollte.
    Später ging er ins Freie, um den Schnee rings um das Haus nach Fußspuren abzusuchen. Aber er fand nur seine eigenen. Wenn die schöne Frau nicht in einem Hubschrauber hierher geflogen und wie Santa Claus durch den Schornstein hinabgerutscht war, hatte während der letzten Nacht kein einziger Besucher das Château betreten. Das sonderbare Wesen im Schlafzimmer war im Übrigen eindeutig
nicht
aus Fleisch und Blut gewesen.
    Nun geriet Charlie, der noch nie an Geister geglaubt hatte, in ein schweres Dilemma. Was sollte er von dem nächtlichen Zwischenfall halten? Im hellen Tageslicht erschien ihm der Spuk völlig verrückt. Nicht einmal Gladys wollte er davon erzählen, wenn er sie gegen Mittag besuchte.
    Als er zum Auto ging, das Etui mit den Perlenohrringen in seiner Brusttasche, schaute er sich wieder nach Spuren im Schnee um und entdeckte nur seine eigenen.
    Gladys Parker begrüßte ihn erfreut. Soeben war sie von der Kirche nach Hause gekommen, und nachdem sie ihn umarmt hatte, tadelte sie ihn sanft, weil er nicht am Gottesdienst teilgenommen hatte.
    »Tut mir Leid, ich bin ein grässlicher Heide«, erwiderte er. »Wahrscheinlich hätte ich alle Engel verscheucht.«
    »Das bezweifle ich. Sicher ist der liebe Gott an Heiden gewöhnt. Wenn wir alle Engel wären, würde er sich langweilen.«
    Ein paar Minuten später überreichte er ihr das Geschenk. Behutsam löste sie die Schleife und faltete mit behutsamen Fingern das Papier auseinander, um es nicht zu zerreißen. Charlie hatte sich schon oft gefragt, warum sich manche Leute so verhielten. Wollten sie die Bänder und das Geschenkpapier noch einmal verwenden? Jedenfalls legte Gladys alles sorgfältig beiseite, so wie früher seine Großmutter. Dann öffnete sie das Etui, ganz vorsichtig, als fürchtete sie, eine Maus könnte herausspringen.
    Beim Anblick der Perlenohrringe japste sie leise auf. In ihren Augen glänzten Freudentränen. Sie bedankte sich überschwänglich und erklärte, Roland habe ihr vor langer Zeit ähnliche Ohrringe gekauft. Vor fünf Jahren sei sie verzweifelt gewesen, weil sie den schönen Schmuck verloren habe. »Was für ein lieber Junge du bist, Charles! Im Grunde bist
du
mein Weihnachtsgeschenk.« Sie wollte sich noch gar nicht vorstellen, wie einsam sie nächstes Jahr zu Weihnachten sein würde, ohne ihn. Natürlich würde er nicht ewig in Shelburne Falls bleiben. Aber vorerst leistete er ihr Gesellschaft, und sie war froh über seinen unerwarteten Besuch zur Weihnachtszeit.
    Sie überraschte ihn mit einem Gedichtband, der ihrem Mann gehört hatte. Außerdem hatte sie in Deerfield einen Schal für ihn gekauft, weil ihr aufgefallen war, dass er keinen besaß. Beide Geschenke rührten sein Herz, vor allem das Buch, in dem er eine Widmung von Roland fand, 1957 datiert. Wie lange war das schon her … Und Sarah hatte vor viel längerer Zeit gelebt. Sollte er die Ereignisse der letzten Nacht vielleicht doch schildern? Lieber nicht …
    Beim Tee schaute ihn Gladys forschend an. »Alles in Ordnung? Ich meine - im Château?«
    Glaubte sie, er hätte Sarah gesehen? Möglichst lässig stellte er seine Tasse beiseite. Aber seine Hände zitterten. »Alles bestens. Die Heizung funktioniert großartig. Heute Morgen hatte ich heißes Wasser in rauen Mengen.«
    Mit der nächsten Frage trieb sie ihn in die Enge. »Du hast sie gesehen, nicht wahr?« Mit zusammengekniffenen Augen musterte sie ihn, und sein Atem stockte.
    »Wen?« Als er in einen Hafermehlkuchen biss, schaute Glynnis neidisch zu, und er gab ihr ein Stück. »Ich habe niemanden gesehen«, fügte er in unschuldigem Ton hinzu.
    Gladys spürte instinktiv, dass er log. Lächelnd drohte sie ihm mit dem Finger. »Und ob du sie gesehen hast! Das wusste ich. Ich hab dir die Information nur verschwiegen, weil ich dir keine Angst einjagen wollte. Ist sie nicht bildschön?«
    Eigentlich wollte Charlie die Begegnung mit der Countess erneut abstreiten. Doch das konnte er nicht, als er Gladys' Blick erwiderte. Ihre Freundschaft bedeutete ihm zu viel. Außerdem wollte er etwas mehr über Sarah erfahren. »Hast
du
sie gesehen?« Erleichtert seufzte

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