Die Erscheinung
ging um halb elf schlafen, und am nächsten Tag fuhr ich heim. Seither war ich sehr beschäftigt - ich musste mich in meinem neuen Domizil häuslich einrichten.« Und Sarahs Tagebücher lesen, ergänzte er in Gedanken. Natürlich verriet er dieses Geheimnis nicht.
»Haben Sie weitere historische Quellen über Sarah Ferguson und François de Pellerin gefunden?« Es war eine beiläufige Frage, und deshalb staunte sie, weil er zusammenzuckte.
»Ich - eh - nein …«, stammelte er schuldbewusst, als hätte er irgendetwas zu verbergen. Dann wechselte er hastig das Thema. »Monique hat mir erzählt, Sie würden schreiben.« Mit dieser Bemerkung erwartete er, sie in Verlegenheit zu bringen. Aber zu seiner Verblüffung lächelte sie.
»Ja, ich verfasse gerade meine Doktorarbeit über die ortsansässigen Indianerstämme. Daraus will ich später ein Buch machen, wenn ich genug Material sammeln kann. Allzu viel gibt es nicht.«
Welch eine Fülle von Informationen fand sich dagegen in Sarahs Tagebüchern … Charlie fragte sich, was Francesca davon halten mochte. »Wie geht es Monique?«, erkundigte er sich und spürte, dass sie ihn forschend beobachtete. Vielleicht versuchte sie zu entscheiden, ob er ein Freund oder ein Feind war. Warum misstraute sie allem, was ihr im Leben begegnete? Da hatte sich Sarah ganz anders verhalten. Vor nichts war sie zurückgeschreckt, um der grausamen Tyrannei ihres Ehemanns endlich zu entrinnen - wenn sie auch acht Jahre für diesen Entschluss gebraucht hatte. Nun konnte es Charlie kaum erwarten, in ihren Aufzeichnungen zu lesen, wie sie François kennen gelernt hatte.
»Danke, es geht ihr gut«, antwortete Francesca. »Sie will wieder Ski laufen.« Aus einem ersten Impuls heraus wollte er vorschlagen, er könnte mit dem Kind nach Charlemont fahren. Doch dann hätte Francesca sofort die Flucht ergriffen. Er müsste ganz vorsichtig versuchen, näher an sie heranzukommen, und den Anschein erwecken, ihre Reaktionen wären ihm gleichgültig. Warum er sich so um sie bemühte, wusste er nicht. Vermutlich, weil er ihre Tochter mochte … Nein, es musste mehr dahinter stecken. Reizte ihn die Herausforderung? Das würde er sich nur widerstrebend eingestehen.
»Sie fährt großartig Ski«, meinte er bewundernd, und da erhellte ein neues Lächeln Francescas Gesicht.
Auf dem Weg zur Kasse begann sie, zögernd zu sprechen. »Es - es tut mir Leid, dass ich in Charlemont so unfreundlich war. Es ist mir einfach unangenehm, wenn Monique mit Fremden redet - oder sich einladen lässt. Dadurch verpflichtet sie sich den Leuten - auf eine Weise, die sie noch nicht versteht.«
»Natürlich, das kann ich Ihnen nachfühlen.« Unverwandt schaute er in ihre Augen, und zu seiner Überraschung hielt sie seinem Blick stand. Es kam ihm so vor, als hätte er ein schönes junges Reh aus seinem Versteck im Wald gelockt, und nun würde es voller Scheu zittern und angstvoll lauschen. Wieder einmal las er tiefen Kummer in Francescas Augen, bevor sie sich abwandte. Was mochte ihr widerfahren sein? Hatte sie so grausam leiden müssen wie Sarah? Oder noch schlimmere Dinge erlebt? »Wenn man ein Kind großzieht, nimmt man eine schwere Verantwortung auf sich«, bemerkte er, während sie in der Warteschlange vor der Kasse standen. Damit versuchte er, seinen Respekt zu bekunden -und ihr seine Freundschaft anzubieten. Warum sollten zwei Menschen, die das Schicksal tief verletzt und die der Zufall zusammengeführt hatte, einander nicht unterstützen?
Er half ihr, die Lebensmittel aus ihrem Einkaufswagen zu nehmen und auf das Förderband zu legen - Hamburger, Steaks und Hühnerkeulen, Tiefkühlpizza, Eiscreme, Marshmallows, drei verschiedene Kekssorten, viel Obst und Gemüse und eine große Packung Milch. Wahrscheinlich lauter Sachen, die Monique mochte.
Charlie hatte außer der Müslipackung nur Mineralwasser, Konserven und Eiscreme ausgesucht, eindeutig Junggesellenkost. Belustigt spähte Francesca in seinen Einkaufswagen. »Keine besonders gesunde Nahrung, Mr. Waterston.«
Erstaunt registrierte er, dass sie sich an seinen Nachnamen erinnerte. In Charlemont hatte sie ihm keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt.
»Meistens gehe ich essen.« Das hatte er zumindest in London und New York getan. Aber in dieser Kleinstadt musste es etwas seltsam klingen, und Francesca hob zu Recht verwundert die Brauen.
»Wohin?«, fragte sie und lachte leise. »Das würde mich interessieren.« In Deerfield gab es viele hübsche Restaurants, aber
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