Die erstaunlichen Talente der Audrey Flowers: Roman
Beerdigung.
Warum. Das sei eine lange Geschichte, sagte mein Dad. Onkel Thoby sei das schwarze Schaf der Familie.
Interessant. Ich dachte, du wärst das schwarze Schaf der Familie.
Wenn du Onkel Thoby schon mal gesehen hättest, würdest du dich an ihn erinnern, sagte mein Dad.
Na gut, sagte ich. Aber ob es dieses schwarze Schaf tatsächlich wert sei, sein ewiges Leben zu riskieren. Wohl kaum. Außerdem sei mir aufgefallen, dass er mich anscheinend nicht dabeihaben wolle. Warum eigentlich nicht. Auch wenn ich mir weiß Gott Angenehmeres vorstellen könne, als mich schon wieder in ein Flugzeug zu setzen.
Diese Reise ist nichts für Audrey.
Herrgott. Und was für eine Reise ist dann was für Audrey.
Diese jedenfalls nicht.
Ich habe ungefähr tausend Fragen, sagte ich.
Na gut, sagte er. Und so zogen wir uns zu einem ernsthaften Gespräch ins Wohnzimmer zurück.
Das Wohnzimmer in Wednesday Place Nummer 3 war reserviert für:
1. ernsthafte Gespräche
2. den dämlichen Papierkram von meinem Dad (wissenschaftliche Artikel, die er über das Sofa verstreute und auf dem Fußboden stapelte)
3. Wedge.
Früher nannte mein Dad das Wohnzimmer Salon , was Französisch ist und Besuchs- oder Empfangs zimmer bedeutet, obwohl wir eigentlich so gut wie nie Besuch empfingen. Als wir Wedge zu uns nahmen, einigten wir uns darauf, künftig Wohn zimmer zu sagen. Schließlich würde Wedge fortan darin wohnen.
Auf dem Weg ins Wohnzimmer lief ich gegen einen seiner dämlichen Artikelstapel und sagte: Hoppla, wieder ein Leonel dahin. Ich nannte all seine Artikel Leonel, nach Leonel de Tigrel, der die meisten davon geschrieben hatte und der Erzfeind war von meinem Dad.
Mein Dad sagte, Leonel de Tigrel sei nicht sein Erzfeind. Aber ich weiß noch, wie er einmal so wütend wurde, dass er einen Artikel in den Teich ohne Grund warf, und als ich ins Wasser watete, um ihn herauszufischen, lautete der Name auf der Titelseite – der größte Name jedenfalls – Leonel de Tigrel. Ich nickte. Leonel de Tigrel war es, der einen Frosch erfolgreich in eine Kaulquappe zurückverwandelt hatte. Leonel de Tigrel war in Cambridge eine große Nummer. Na, dem würden wir es schon zeigen.
Mein Dad konnte es nicht ausstehen, wenn ich seine Artikel Leonel nannte. Er sagte: So produktiv ist der Mann nun auch wieder nicht.
Er räumte das Sofa frei. Setz dich, sagte er.
Ich ging hinter das Sofa und hockte mich aufs Fensterbrett.
Also gut. Er setzte sich und drehte sich zu mir herum. Er sagte, Verlaine werde zu uns ziehen und sich um mich kümmern, solange er weg sei.
Verlaine, der Schweizer Troll, der Mäuse frisst!
Mein Dad blickte zum Kaminsims, wo Wedge eben aufwachte und sich frisierte.
Die macht aus Wedge bestimmt ein Sandwich, flüsterte ich.
Unsinn.
Tja. Dann verstecke ich ihn eben unter meinem Bett.
Meinetwegen.
Meine Füße kletterten den Fensterrahmen hoch. Und wie soll ich all die Jahre ohne eine Biografie auskommen.
Wieso Jahre. Vier Wochen. Außerdem kann Verlaine dir genauso gut Shirley MacLaine vorlesen wie ich.
Ich sah ihn strafend an.
Oder auch nicht. Dann musst du Shirley eben selber lesen.
Ich kann aber nicht lesen.
Shirley schon. Du kannst schreiben. Und wer schreiben kann, der kann auch lesen.
Stimmt nicht. Immer wenn ich zu lesen versuchte, blätterte ich rückwärts. Das kam daher, dass ich meinem Dad so oft beim Lesen zugesehen hatte. Seine rechte Seite war immer meine linke. Und als ich schließlich auf der anderen, nämlich seiner Seite eines Buches saß, blätterte ich immer die linke Seite um und kam dabei völlig durcheinander. Außerdem war es auf der anderen Seite eines Buches ziemlich einsam ohne meinen Dad.
Mein Dad meinte, Bücher lesen sei wichtiger, als sich Filme wie Krieg der Sterne anzusehen. Lesen sei vor allem deshalb so wichtig, weil ich dann alle Witze auf der Welt verstehen würde.
Was denn für Witze.
Du verstehst nur etwa zwanzig Prozent der Witze, sagte er. Und das ist nicht gerade viel.
Zwanzig Prozent!
Jetzt zwickte mich mein Dad ins Bein und sagte: Ich habe eine Idee. Warum schreibst du nicht selbst eine Biografie, solange ich weg bin. Und wenn ich wiederkomme, lese ich sie. Was hältst du davon.
Ich nickte. Ziemlich clever.
Biografin gehört definitiv zu deinem Repertoire, sagte er.
Und über wen soll ich eine Biografie schreiben.
Draußen stieg Jim Ryan in sein Auto und fuhr aus seiner Einfahrt.
Wie wär’s mit ihm.
Wie schwiegen einen Augenblick. Dann lachte mein Dad. Er fand
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