Die Erste Liebe: Nach 19 Vergeblichen Versuchen Roman
verloren hast. Die Tatsache, dass du mit DAC zusammen warst, wiegt die Chappi-Geschichte nicht auf. Wenn es einem einmal abhandengekommen ist, passt das fehlende Teil nicht mehr. Wie bei Katherine. Das habe ich jetzt begriffen: Selbst wenn sie zurückkäme, könnte sie das Loch nicht füllen, das sie hinterlassen hat.«
»Vielleicht kann das kein Mädchen.«
»Eben. Und selbst wenn ich ein weltberühmter Theorem-Aufsteller bin, wäre das Loch immer noch da. Darüber habe ich auch nachgedacht. Vielleicht geht es im Leben gar nicht darum, immer irgendwelchen Etappen hinterherzuhecheln.«
»…«
»Was ist so lustig?«
»Nichts. Ich habe nur gerade gedacht, deine Erkenntnis ist in etwa so, als würde ein Heroinabhängiger plötzlich sagen: ›Wisst ihr was, statt immer mehr Heroin zu nehmen, könnte ich einfach mal kein Heroin nehmen.«
»…«
»…«
»…«
»…«
»Ich glaube, ich weiß, wer im Grab des Erzherzogs Franz Ferdinand begraben ist, und ich glaube, es ist nicht der Erzherzog.«
»Ich wusste, dass du draufkommst! Ja, es ist mein Urgroßvater.«
»Du hast es gewusst? Fred N. Dinzanfar war ein alter Anagrammatiker!«
»Die Oldies wissen es alle. Anscheinend stand es so in seinem Testament. Aber vor einer Weile hat Hollis plötzlich das Schild aufgestellt und mit den Führungen angefangen – erst jetzt begreife ich, dass es wahrscheinlich wegen des Geldes war.«
»Komisch, was Leute tun, damit man sich an sie erinnert.«
»Oder damit man sie vergisst, weil, eines Tages weiß keiner mehr, wer hier wirklich begraben ist. Schon jetzt denken die meisten Kinder in der Schule, dass es wirklich der Erzherzog ist, und das gefällt mir. Es ist schön, eine Geschichte zu kennen, und alle anderen kennen eine andere. Deswegen sind die Tonbänder, die wir aufgenommen haben, so spannend. Auf dem Tonband sind lauter Geschichten, die die Zeit verschluckt oder verzerrt oder sonst wie verändert hat.«
»Wo ist deine Hand hin?«
»Sie ist schwitzig.«
»Macht nichts – oh, hallo.«
»Hallo.«
»…«
»…«
»Habe ich schon erzählt, dass ich eine der Katherines sitzen gelassen habe?«
»Du hast was? Nicht möglich.«
»Anscheinend doch. Katherine III. Irgendwie habe ich mich total falsch erinnert. Dabei bin ich immer davon ausgegangen, dass alle Dinge, an die ich mich erinnere, auch genau so passiert sind.«
»Hm.«
»Was?«
»Na ja, es ist keine so gute Geschichte mehr, wenn du eine sitzen gelassen hast. So funktioniert meine Erinnerung. Ich erinnere mich an Geschichten. Ich verbinde einzelne Punkte, und es kommt eine Geschichte heraus. Wie Sternbilder. Du blickst zum Himmel und siehst die Sterne – dieses riesige Durcheinander da oben. Aber du willst Figuren sehen; du willst Geschichten sehen, und so suchst du sie dir aus dem Himmel heraus. Hassan hat mir erzählt, dass dein Gehirn auch so funktioniert – dass du überall Verbindungslinien herstellst –, und deswegen bist du am Ende eigentlich der geborene Geschichtenerzähler.«
»So habe ich das noch nie gesehen. Ich … hm. Klingt irgendwie einleuchtend.«
»Also, erzähl mir die Geschichte.«
»Was? Die ganze?«
»Ja. Romantik, Abenteuer, Moral, das ganze Programm.«
Anfang, die Mitte und das Ende
»Mein Tutor Krazy Keith hatte eine Tochter, Katherine I., die mich eines Abend bei mir zu Hause fragte, ob ich mit ihr gehen wollte, und ich sagte Ja, doch zweieinhalb Minuten später machte sie Schluss, was damals komisch wirkte, aber im Nachhinein ist es möglich, dass jene zweieinhalb Minuten zu den bedeutungsvollsten Epochen meines Lebens gehören.
K-2 war ein pummeliges achtjähriges Mädchen aus der Schule, und irgendwann tauchte sie bei mir zu Hause auf und sagte, auf der Straße liege eine tote Ratte, und weil ich auch acht war, rannte ich sofort hinaus, um mir die tote Ratte anzusehen, doch stattdessen stand da Katherines beste Freundin Amy, und Amy sagte: ›Katherine ist in dich verliebt, willst du mit ihr gehen?‹ Ich sagte Ja, und dann stand Amy acht Tage später wieder vor der Tür und sagte, Katherine sei nicht mehr in mich verliebt und wollte nicht mehr mit mir gehen.
Katherine III. war eine reizende kleine Brünette, die ich in meinem ersten Sommer im Schlaumeier-Camp kennenlernte – das sich mit der Zeit zu einer Art Kontaktbörse für Wunderkinder entwickelte –, und da es besser in die Geschichte passt, erinnerte ich mich später, dass sie eines Morgens beim Bogenschießen Schluss machte, nachdem ein
Weitere Kostenlose Bücher