Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die erste Todsuende

Die erste Todsuende

Titel: Die erste Todsuende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Sanders
Vom Netzwerk:
darstellte.
    „Von vorn?" fragte sie. „Ja? Sieh ihm in die Augen und berichte mir dann."
    „Schwierig", sagte er.
    „Du schaffst es", sagte sie. „Ich weiß, daß du es schaffst."
    Er runzelte die Stirn. „Das will gut vorbereitet sein. Und ein bißchen Glück gehört natürlich auch dazu."
    „Du bist selbst deines Glückes Schmied."
    „Meinst du? Hm, ich muß es mir überlegen. Ein interessantes Problem."
    „Willst du etwas für mich tun?"
    „Selbstverständlich. Was?"
    „Anschließend gleich zu mir zu kommen?"
    Er dachte einen Augenblick nach.
    „Vielleicht nicht gleich anschließend. Aber kurz darauf. Noch in der selben Nacht. Genügt das?"
    „Vielleicht bin ich dann nicht zu Hause."
    Sofort war sein Argwohn wach. „Willst du wissen, in welcher Nacht? Das weiß ich selbst vorher nicht. Und will es auch nicht wissen."
    „Nein, ich will weder wissen, wann noch wo. Nur in welcher Woche. Dann bleibe ich jede Nacht zu Hause und warte auf dich. Kannst du mir sagen, in welcher Woche?"
    „Ja. Das werde ich dir sagen. Wenn es soweit ist."
    „Mein Geliebter!" sagte sie. „Die Augen", sagte sie.

22
    Bernard Gilbert nahm das Leben ernst - und er hatte ein Recht darauf, düster zu sein. Früh verwaist, war er von Onkel zu Tante, von Vetter zu Kusine geschleppt worden, war überall sechs Monate geblieben, hatte überall zu hören bekommen, daß das Essen auf seinem Teller, das Bett, in dem er schlief, die Sachen, die er anhatte - daß er all das der harten Arbeit seiner Wohltäter verdanke, daß er auf ihre Kosten lebe.

    Mit acht Jahren war er Schuhputzer gewesen, dann Laufbursche, dann Kellner, dann Stoffverkäufer, dann Buchhalter in einem drittklassigen Modewarengeschäft. Und die ganze Zeit über hatte er die Schule besucht, hatte gelernt und Bücher gelesen. Alles ohne Freude. Manchmal, wenn er sich genug zusammengespart hatte, war er zu einer Frau gegangen. Auch das war freudlos gewesen. Was hätte er tun sollen?
    High-School, zwei Jahre Militärdienst, City-College, immer arbeiten, nachts nur vier bis fünf Stunden Schlaf, lernen, lesen, sich kleine Summen leihen, sie wieder zurückzahlen, sich nie ernsthaft die Frage stellen, wozu, sondern sich von einem untrüglichen Instinkt leiten lassen. Und plötzlich war es soweit, er, Bernard Gilbert, war vereidigter Buchprüfer, trug einen neuen schwarzen Anzug - ein harter Arbeiter, der sich aufs Rechnen verstand. Und das sollte das Leben sein?

    Er hatte Mut, er hatte Energie. Harte Arbeit schreckte ihn nicht, und wenn es sein mußte, erniedrigte er sich auch und ging mit einem Schulterzucken darüber hinweg. Handelte wie ein Mann. Kein großspuriger Eroberer mit Haaren auf der Brust, sondern einer, der überlebte. Dazu gehörte eine besondere Art von Mut; er verlor ihn nie.
    Seine große Stunde kam, als er zweiunddreißig war und eine entfernte Kusine ihn zum Abendessen einlud. Dort war Monica. „Monica, darf ich dir Bernard Gilbert vorstellen? Er ist vereidigter Buchprüfer."
    Sie heirateten, und für ihn begann das Leben. Glücklich? Man hätte es nicht für möglich gehalten! Gott sprach: „Bernie, zweiunddreißig Jahre lang habe ich dich beschissen behandelt. Du bist hart im Nehmen, aber jetzt hast du wirklich mal eine Pause verdient. Genieß es, mein Junge, genieß es!"
    Zuallererst kam Monica. Nicht schön, aber hübsch und kräftig. Auch sie eine harte Arbeiterin. Sie lachten im Bett. Dann kamen die beiden Kinder, Mary und Sylvia. Wunderhübsche Mädchen! Und gesund, Gott sei Dank! Die Wohnung war nichts Üppiges, aber ein Zuhause! Ein Zuhause! Sein Zuhause - mit Frau und Kindern. Alle lachten sie.
    Die bösen Erinnerungen schwanden. Alles war vergessen: die Grausamkeiten, die abgelegten Kleider, die Beleidigungen und die Kriechereien! Allmählich, ganz allmählich begriff er, was Freude war. Es war ein Geschenk, und er wußte es zu schätzen. Bernard Gilbert, ein schwermütiger Mann mit eingefallenen Wangen, ein Mann, der sich ständig rasieren mußte, mit hängenden Schultern, staunenden Augen, schütter werdendem Haar, hager von Gestalt: ein Mann, der, wenn er sein Leben noch einmal zu leben hätte, gern Geiger geworden wäre. Nun ja.
    Er hatte diesen guten Job bei einer großen Buchprüferfirma, bei der man wußte, was man an ihm hatte. Seit ein paar Jahren arbeitete er noch nebenher, machte Selbständigen wie Ärzten, Zahnärzten, Architekten, Künstlern und Schriftstellern die Steuererklärung. Seine Firma wußte davon und hatte nichts

Weitere Kostenlose Bücher