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Die Erzaehlungen 1900-1906

Die Erzaehlungen 1900-1906

Titel: Die Erzaehlungen 1900-1906 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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spielte eine Militärkapelle aus Ludwigsburg, es war auch das schönste Wetter und alles voll. Später hab’ ich sagen hören, sie hätten
    Defizit gemacht, aber das kann ich nicht glauben.
    Wir liefen überall herum und sahen uns die Sachen an, und die Lene ist
    jeden Augenblick irgendwo stehengeblieben und ich mit. Da kamen wir auch
    an die Maschinen, und wie ich die sehe, fällt mir auf einmal ein, daß ich so viele Wochen lang nimmer an meiner Waschmaschine geschafft habe. Und
    auf einmal plagte es mich so stark, daß ich am liebsten gleich im Augenblick heimgelaufen wäre. Das kann man gar nicht erzählen, wie es mir da zu Mute
    war.
    >Komm, laß die langweiligen Maschinen, sagte die Lene und wollte mich
    fortziehen.
    Und wie sie da an meinem Arme zieht, kommt mir’s auf einmal so vor, als
    müsse ich mich schämen und als wolle sie mich von allem fortzerren, was mir
    früher wichtig und lieb gewesen war. Ich spürte ganz deutlich, wie in einem
    Traum: entweder heiratest du und gehst inwendig kaputt oder du gehst wieder
    an deine Waschmaschine. Da sagte ich der Lene, ich wolle noch ein Weilchen
    hier in der Maschinenhalle bleiben, da zankte sie und ging dann allein weg.
    Jawohl, Junge, so ist’s und so war’s. Am Abend saß ich wie ein Wilder
    am Zeichenbrett, am Montag morgens hab’ ich in meiner Fabrik gekündigt,
    und vierzehn Tage drauf war ich schon weit fort. Und jetzt werden Maschinen
    gemacht, eine hab’ ich schon im Kopf, und für die da krieg ich’s Patent, so
    gewiß ich Silbernagel heiße.
    (1905)
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    Erinnerung an Mwamba
    Seit das graue Wetter herrschte und seit der vergnügte, schwindsüchtige Eng-
    länder in Port Said ausgestiegen war, wurden uns die Tage lang, die vielen Tage und Wochen an Bord, eine dumme Melancholie und fade Zerstreuungssucht
    und eine gewisse Globetrotter-Verkommenheit kam auf, ungern denke ich an
    jene zwei oder drei Wochen.
    Eines Tages standen wir wieder etwas fröstelnd auf Deck herum, horchten
    auf die See und auf das Stampfen der Maschine. Der Himmel war von dicht
    gedrängten, wolligen, bleigrauen Wolkenschichten bedeckt, das Meer umgab
    uns von allen Seiten, leise in langen Dünungen wogend, fahl und traurig.
    Vor uns auf einer Tonne saß Mwamba, der Neger, dessen Amt an Bord es
    war, uns in faden Stunden etwas zu unterhalten durch Geschichtenerzählen
    und durch kleine Frechheiten, die er sagte, und durch sein drolliges Nigger-
    Englisch, das er absichtlich hie und da noch mit grotesken Fehlern schmückte.
    Er saß und rauchte Zigarren, wiegte sich im Takt der Maschine, rollte die Augen und erzählte in kleinen, geizigen Portionen. Für jede Geschichte bekam er eine Zigarre, was meistens gut bezahlt war, denn viele von seinen Geschichten taugten gar nichts, und unter anderen Umständen hätte kein Mensch ihm zugehört. So aber umstanden wir ihn zuhörend und ermunternd, alle gelangweilt, alle verdrießlich.
    Erzähle!
    rief alle paar Minuten einer von uns und reichte ihm eine Zigarre.
    Danke, Herr. Ich erzähle. Ein Mann war krank und hatte Schmerzen in
    seinem Bauch, auf beiden Seiten, es tat ihm sehr weh. Er schrie immerfort,
    weil er Schmerzen hatte, dieser Mann. Da kam ein anderer Mann zu ihm, der
    brachte ihm zwei Pfund Affenschmalz. Und der kranke Mann aß das Affen-
    schmalz auf. Es wurde ihm übel und er mußte erbrechen. Aber dann war er
    wieder ganz gesund.
    Er schwieg. Das war seine ganze Geschichte.
    Dummes Zeug erzählst du , rief einer.
    Hier, nimm, und jetzt erzähl uns
    was Besseres, etwas von deinen eigenen Streichen, weißt du.
    Gut. Ich erzähle. Vor langer Zeit, als ich noch ein schlechter Mensch
    war, habe ich, Mwamba, manche Streiche verübt. Jetzt ist Mwamba gut, und
    erzählt den weißen Männern viele Geschichten. Als ich noch ein Knabe war,
    343
    da wollte ich nicht gern Mais mahlen und nicht gern den Sack tragen. Das
    Arbeiten schien mir keine gute Sache zu sein. Mein Vater war unzufrieden
    und gab mir nichts zu essen. Da ging ich im Dorf herum und nahm dies und
    jenes, und die süße Milch trank ich heimlich aus den Gefäßen oder auch von
    den Ziegen, aus den Gefäßen trank ich sie listig, von ferne, ich saß im Versteck und sog sie durch ein trockenes Schilfrohr. Als ich elf Jahre alt war, hörte mein Vater von einem Dieb, der in einem anderen Dorf wohnte. Er war ein
    Meisterdieb, berühmt in seinem Gewerbe, und mein Vater beschloß, daß ich zu
    diesem Dieb kommen sollte, um sein Gewerbe zu lernen. Er brachte mich zu
    ihm und

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