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Die Erzaehlungen 1900-1906

Die Erzaehlungen 1900-1906

Titel: Die Erzaehlungen 1900-1906 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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ich um ein Wiedersehen mit einer fast vergessenen Geliebten in
    dem fremdgewordenen Land mich durch Wald und Nacht und Kälte schlage.
    Ich fing leise meine alten Liebeslieder zu singen an:
    Mein Blick erstaunt und muß sich senken,
    mein Herz schließt alle Tore zu,
    dem Wunder heimlich nachzudenken –
    so schön bist du!
    Dazu war ich durch Länder gewandert und hatte mir in langen Kämpfen den
    Leib und die Seele voll Narben geholt, um nun die alten dummen Verse zu
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    singen und den Schatten lang verblaßter Knabentorheiten nachzulaufen! Aber
    es machte mir nicht wenig Freude, und während ich mühsam den gewunde-
    nen Pfad verfolgte, sang ich weiter, dichtete und phantasierte, bis ich müde ward und still weiterlief. Suchend tastete ich an dicke Buchenstämme, die
    von Efeuästen umklammert waren und deren Zweige und Wipfel unsichtbar
    im Finstern schwammen. So ging es noch eine halbe Stunde, und ich begann
    endlich kleinlaut zu werden. Da erlebte ich etwas unvergeßlich Köstliches.
    Urplötzlich war der Wald zu Ende, und ich stand zwischen den letzten
    Stämmen hoch an einer steilen Bergwand, und unter mir schlief ein weites
    Waldtal in der Nachtbläue, und mitten darin zu meinen Füßen lag still und
    heimlich mit sechs, sieben kleinen rotleuchtenden Fenstern ein Dörflein. Die niederen Häuser, von denen ich fast nur die breiten, leise schimmernden Schin-deldächer sah, lehnten sich eng aneinander, in einer leichten Biegung, und
    zwischen ihnen lief schmal und dunkel die schattige Gasse, und an ihrem En-
    de stand ein großer Dorfbrunnen. Weiter oben, am halben Berge gegenüber,
    lag allein zwischen vielen dämmernden Kirchhofskreuzen die Kapelle. In ihrer Nähe lief auf einem steilen Hügelweg bergan ein Mann mit einer Laterne.
    Und drunten im Dörflein, in irgendeinem Hause, sangen ein paar Mädchen
    mit kräftigen, hellen Stimmen ein Lied.
    Ich wußte nicht, wo ich war und wie das Dorf heiße, und ich nahm mir vor,
    auch nicht danach zu fragen.
    Mein bisheriger Weg verlor sich am Waldrand bergaufwärts, so stieg ich
    behutsam ohne Pfad durch steile Weiden hinab, dem Dorf entgegen. Ich geriet
    in Gärten und auf schmale Steinstaffeln, fiel über eine Stützmauer und mußte schließlich einen Zaun überklettern und durch den seichten Bach springen,
    dann aber war ich im Dorf und trat am ersten Gehöft vorbei in die krumme,
    schlafende Gasse. Bald fand ich das Wirtshaus, das hieß
    zum Ochsen
    und
    war noch nicht geschlossen.
    Das Erdgeschoß war still und dunkel, aus dem gepflasterten Flur führte ei-
    ne alte verschwenderisch gebaute Treppe mit bauchigen Geländersäulen, von
    einer am Strick aufgehängten Laterne erleuchtet, empor in einen Fliesengang
    und zur Gästestube. Diese war reichlich groß, und der von einer Hängelampe
    beschienene Tisch beim Ofen, an dem drei Bauern vor ihren Weingläsern sa-
    ßen, lag wie eine Lichtinsel in dem halbdunkeln, großen Raum.
    Der Ofen war geheizt, ein würfelförmiges Gebäude mit dunkelgrünen Ka-
    cheln; in den Kacheln spiegelte warm das matte Lampenlicht, unterm Ofen
    lag ein schwarzer Hund und schlief. Die Wirtin sagte
    Grüß Gott , als ich
    hereinkam, und einer von den Bauern schaute prüfend her.
    Was ist das für einer?
    fragte er zweifelnd.
    Weiß nicht , sagte die Wirtin.
    Ich setzte mich an den Tisch, grüßte und ließ Wein kommen. Es gab nur
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    Heurigen, einen hellroten jungen Most, der schon stark im Reißen war und
    mir prächtig warm machte. Dann fragte ich nach einem Nachtlager.
    Das ist so eine Sache , meinte die Frau und zuckte die Achseln.
    Wir
    haben schon ein Zimmer, freilich, aber da ist gerade heut ein Herr drin. Es
    wäre auch ein zweites Bett in der Stube, aber der Herr schläft schon. Wenn
    Sie hinaufgehen und mit ihm reden wollen –?
    Nicht gern. Und sonst gibt’s keinen Platz?
    Platz schon, aber kein Bett mehr.
    Und wenn ich mich da zum Ofen lege?
    Ja, wenn Sie das wollen, freilich. Ich geb Ihnen dann eine Decke, und wir
    legen ein paar Scheiter nach, so müssen Sie nicht frieren.
    Nun ließ ich mir Eier kochen und eine Wurst geben, und während des Essens
    fragte ich, wie weit ich noch von meinem Reiseziel sei.
    Sagen Sie, wie lang
    geht man von hier nach Ilgenberg?
    Fünf Stunden. Der Herr droben, der
    die Stube hat, will morgen auch wieder hinüber. Er ist dort daheim.
    So so.
    Und was treibt er denn hier?
    Holz kaufen. Er kommt jedes Jahr.
    Die drei Bauern mischten sich nicht in unser Gespräch. Es waren, dachte
    ich mir,

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