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Die Erzaehlungen 1900-1906

Die Erzaehlungen 1900-1906

Titel: Die Erzaehlungen 1900-1906 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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Philosoph je gehabt, auch
    kein moderner!
    Aber bester Ogilvie, es lebe das Präsens! Vor dem Schlafengehen wäre viel-
    leicht noch ein letztes Glas Wein am Platz.
    Wir bestellten noch eine Flasche und trennten uns gegen Mitternacht in der
    besten Stimmung.
    Am nächsten Morgen genoß ich einen Anblick, dessen Schönheit selbst mein
    durch unzählige Wanderfreuden verwöhntes Auge sättigte und beglückte. Der
    ganze Himmel war klar und von einem tiefen, fast veilchenfarbenen Blau, in
    welchem die reinen Umrisse der entferntesten Gipfel scharf und leuchtend her-vortraten. Von den Wetterhörnern bis zur Schynigen Platte stand Berg an
    Berg klar und rein in der frischen, kräftigen Schneeluft; zwischen Wetterhorn und Mettenberg stand die Morgensonne, die niederen Schneefelder zur Rechten
    vergoldend, während die atlasweißen Mulden und Flächen des Männlichen im
    kühlen Silberglanz lagen. An dem prachtvollen, schwarzen Kegel des Tschug-
    gen glaubte man die Felsritzen zählen zu können. Ich stieg im Dorfe bergauf, den laublosen, schönen Ahornen der Villa Bellary entgegen, denn von dort aus genießt man die morgendliche Bergaussicht schöner als irgend sonst wo.
    Bald sah ich denn auch hinter der riesigen Nordwand des Eiger die schlanke,
    elegante Pyramide des Silberhorns vortreten, die östliche Seite blendend golden von der Sonne beschienen. Bald darauf sprang der abenteuerliche Tschug-
    gengipfel plötzlich ins Licht, dann folgten die milden, weichen Schneefelder des Männlichen. Diamantlichter blitzten da und dort mit jähem Glanz auf, blasse
    bläuliche Schatten liefen wie lebendige Adern über den Schnee. Das war der
    Hochgebirgswinter Schnee, Felsen, Tannen und Hütten von einem strahlend
    schönen Himmel überblaut und von intensivem Licht überflutet. Das Licht
    feierte prahlende Feste auf dem reinen, fleckenlosen, seidig weichen Schnee, es glitt mit flüchtigen Blitzen über gerundete Anhöhen, lief mit blankem Lachen über breite Flächen hinweg, schmiegte sich mild in weiche Mulden, drang scheu und spielend in die Tannenhaine und zeichnete lange Reihen von schlanken spitzen Wipfeln als graublaue Schatten auf den weißen Grund. Das ganze
    Bild war von einem zarten Anhauch reiner Frische überflogen, der mir in die
    Seele hinein wohl tat. Wer hat in der Stadt oder überhaupt im Tiefland eine
    Ahnung von diesen weltfernen Winterschönheiten?
    Auf dem Rückweg begegnete ich Ogilvie, der auf meine begeisterten Lob-
    lieder mit einem zufriedenen Kopfnicken antwortete.
    Ja, da schauen Sie! Und im Januar haben wir es drei Wochen ununterbro-
    chen so blau und klar gehabt wie heute.
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    Er brachte mir einen kleinen, leichten Davoser mit. Ich war das Bergschlit-
    teln von der Ostschweiz und vom Schwarzwald her gewohnt. So fuhren wir
    gleich die beliebteste Sportbahn, deren steiler Abschluß der
    Niagara
    heißt.
    Ich beobachtete dabei Ogilvie, der mit gerötetem Gesicht und fliegenden Haa-
    ren dahinsauste und um Jahre verjüngt erschien. Er hustete nicht, er spuckte nicht aus, er keuchte kaum, und ich fing selber an, an seine Genesung zu
    glauben. Später ging ich zum Eisplatz mit, wo mein Freund die Augen der
    Sportsmen auf sich zog. Ich verstehe nichts vom kunstmäßigen Eislauf, aber
    er schien mir einer der besten Läufer. Er lief nicht, sondern schwebte wie ein Vogel mit eleganter Balance in schönen, reinen, zuweilen kapriziös gebrochenen Halbbogen, deren Entstehung keine Kraft zu fordern, vielmehr mühelos
    aus dem straffen, sich wohlig wiegenden Körper zu kommen schien. Es war
    eine Lust, ihn anzusehen.
    Nachmittags besuchten wir den oberen Gletscher, dessen blaugrüne Eiswo-
    gen kühl und seltsam unter dem in steifen Bärten über die Klippen hängenden
    Neuschnee hervorglänzten. Wir fuhren bequem auf unseren Davosern zurück
    bergabwärts, nahmen den Lunch auf dem Balkon und blieben dort bei einer
    guten Flasche Wein in der Sonne sitzen, bis uns der kühle, frische Abend ins Zimmer trieb. Petrus sprach diesmal nicht vom Sterben, er machte sogar Witze über unsere gestrige Unterhaltung. Bald aber begann er von Dingen zu
    sprechen, die mir aus seinem Munde wunderlich fremd und grotesk klangen.
    Ich hatte ihn über Frauen nie anders sprechen hören wie als über eine Sache, die man gelegentlich kauft, genießt und liegenläßt. Ich wußte von einigen seiner Liebesabenteuer, die zum Teil recht romantisch, aber alle kurz und schneidig waren, und von denen er selten, dann aber mit drastischer Ironie zu

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