Die Erzaehlungen 1900-1906
reden
pflegte. – Und jetzt fand ich ihn verliebt, und zwar in ein Weib, das er schon vor vier Jahren gekannt und genossen hatte.
Ja, schauen Sie , sagte er,
das kommt von dem faulen Leben und vom
Gesundsein. Es ist mir einfach zu wohl, und da doch der Überschuß irgend-
wo hinaus mußte, bin ich nun sentimental geworden. Unterbrechen Sie mich
nicht, es ist nicht anders. Seit zwei Monaten denke ich, zumal bei Nacht, an nichts in der Welt so viel, als an eine schöne Frau, in die ich mich vor vier Jahren ums Haar verliebt hätte. Mein Abenteuer mit ihr kennen Sie. Es ist
die Florentinerin.
Die Mona Lisa?
Ja, wie ich sie damals nannte. Sie haben sie ja nicht gekannt. Das ist ein
Weib! Weinen könnte man um sie! Seit ich so viel an sie denken muß, hat ihr
Wesen für mich etwas so zärtlich Liebes, daß ich oft direkt poetisch werde.
Nicht wahr, da lachen Sie?
Allerdings, Bester. Daß Sie noch solche Märchen erleben müssen, Petrus?
Also, ich kondoliere.
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Langsam, Verehrtester! Sie wissen ja erst die Hälfte. Es kommt noch viel
schlimmer. Das ist so: der Arzt ist ja zwar höchst zufrieden mit mir, hält
aber eine erhebliche Einschränkung meiner Reisen für notwendig. Ich müßte
also künftig mindestens für die Hälfte des Jahres einen gesunden, ständigen
Wohnort haben. Das wäre mir aber auf die Dauer einfach unerträglich, ohne
daß, – na, es muß heraus – also, ohne daß ich heirate. Was sagen Sie nun?
Ich schweige.
Vor Schrecken?
Vor Schrecken.
Na, so schweigen Sie, Sie Weltweiser!
Und eine Weile blieben wir still. Ich betrachtete sein kühnes, etwas verwit-
tertes Gesicht, auf dem die Erregung arbeitete, und die hohen, zarten Schläfen, und den schön durchgebildeten, länglichen Schädel.
So stehen die Dinge , fuhr er fort.
Sie ist nämlich noch immer Witwe,
vermutlich weil längst kein Vermögen mehr da ist. Im Frühjahr reise ich nach Florenz. Sie hat ja damals für mich geschwärmt. Sagte ich Ihnen, daß sie mich gern mit dem englischen Condottiere John Hawkwood verglich?
Plötzlich brach er ärgerlich lachend ab. Es war indessen Nacht geworden,
und er zog mich ans Fenster und wieder hinaus. Über den Fischerhörnern
und dem kleineren Gletscher hing der halbe Mond am grünlich lichten Him-
mel. Es war so hell, daß man auf den Zacken des Wetterhorns zuweilen das
gespenstische, silbrige Stäuben der Schneewehen sah. Wir beschlossen, noch
einen Gang zu machen, und stiegen ein Stück weiter bergan gegen die Ällfluh.
Es war bitter kalt geworden. Scharf und blauschwarz zeichnete das Mondlicht
unsere stark verkürzten Schatten auf den Schnee.
Bei unserer Rückkunft ins Hotel fand ich ein Telegramm, das mich eilig nach
Bern rief. Ich mußte anderntags in der Frühe nach Bern reisen, versprach aber, in längstens drei Tagen wieder hier zu sein.
In Bern hielt mich ein unerquickliches Geschäft immer wieder für einen Tag
auf. Ärgerlich und ohne die Sache zum Abschluß gebracht zu haben, reiste ich am sechsten Tag nach Grindelwald zurück.
Ich fand Ogilvie nicht mehr im Hotel Bär. Er war plötzlich erkrankt und
nach einem entlegenen Hause im Dorfe überführt worden. Dort lag er, als ich
bei ihm eintrat, still im weißen Bett, von einer Krankenschwester gepflegt. Er hatte sich auf jenem kurzen Nachtspaziergang verdorben. Sein Gruß war kurz
und fast grob, ich hatte den Eindruck, er schäme sich seines Krankseins. Nach einiger Zeit bat er plötzlich:
Hören Sie, mein Schlitten steht noch im Bären, den sollen Sie mir holen.
Sie sind so gut, nicht wahr? Ich brauche ihn ja jetzt nicht, aber wenn er nicht geholt wird, stiehlt ihn das Pack, darauf können Sie Gift nehmen. O, das
Hotelgeschmeiß!
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Ich ging und holte den Schlitten ab. Es war ein hübscher, solider Davoser,
und auf der Rückseite des Sitzes standen, in ungleichmäßigen Buchstaben
eingebrannt, die Worte:
Gestohlen dem Herrn Petrus Ogilvie.
Ich mußte
lachen, und Petrus lachte mit, als ich ihm die schwarzen Buchstaben zeigte.
Nun wäre es beinahe schon wahr geworden , sagte er.
Sie stehlen, diese
Leute, sie stehlen alle.
Er schien müde und lag bis gegen Abend im Halbschlummer. Ich ruhte
indessen aus und blieb dann die Nacht bei ihm wach. Eine wunderliche Nacht!
Er war so still, lächelte fortwährend und sprach nur zuweilen ein paar Worte
– von Florenz. Nur zwei-, dreimal brach durch diese müde Heiterkeit ein Blitz seines früheren Wesens, ein herber Witz oder eine seiner bitter
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