Die Erziehung - Roman
Was sollen die Kunden denken angesichts einer solchen Leichenbittermiene? Die meinen ja, sie werden von einem Gespenst bedient! Andere mussten wegen weniger gehen. Sie haben gesehen, wie ich sie behandle! Und Ihnen wird es nicht besser ergehen!« Er hörte nicht auf, im Zimmer auf und ab zu gehen und mit dem Finger auf Gaspard zu zeigen. Die Luft, die durch seine Bewegungen aufgewirbelt wurde, roch nach Weihrauch. »Sie dachten wohl, mich hereinlegen zu können, nichtswürdiger Schmutzfink, Taugenichts! Aber ich weiß, oh ja, ich weiß alles! Ich weiß, wen Sie treffen, ich habe es mit eigenen Augen gesehen! Welchem Laster Sie verfallen und mit welchem Schurken! Es könnte Sie, glauben Sie mir, teuer zu stehen kommen, wenn ich plaudern würde. Eigentlich müsste ich es tun! Ich weiß gar nicht, was mich zurückhält! Ich bin wohl zu gutgläubig, ein bisschen zu treuherzig gar! Aber was haben Sie denn zu Ihrer Verteidigung vorzubringen, statt so stumm und dumm dazustehen?« Er ließ Gaspard keine Zeit zum Antworten: »Sagen Sie nichts, das ist besser, ich könnte Ihnen gar nicht zuhören, ohne Sie sofort zum Schweigen bringen zu wollen. Sie zwingen mich, Maßnahmen zu ergreifen. Ab dem heutigen Tag, spitzen Sie die Ohren, ist es Ihnen untersagt auszugehen, sowohl tags wie nachts, es sei denn, ich erteile Ihnen einen Auftrag. In diesem Fall beeilen Sie sich, und ich schaue auf die Uhr. Ich selbst werde die Werkstatt abschließen und den Schlüssel verwahren, um sicher zu sein, dass der auf die schiefe Bahn Geratene, der Sie sind, sich nicht davonmachen kann! Beim geringsten Verstoß werfe ich sie hinaus! Ich entlasse Sie! Ah! Ich weiß schon, was Sie denken! Sie glauben, Ihr Graf würde Sie aufnehmen? Sie meinen gar, es dort besser zu haben als hier? Hören Sie mir auf mit Ihren Ausflüchten! Sie wissen gar nichts. Haben überhaupt keine Ahnung. Er wird Sie krepieren lassen wie ein Stück Dreck. Wie dumm und blind die Jugend doch ist! Doch genug der Reden, ich hoffe, Sie haben mich verstanden. Ins Bett mit Ihnen. Ab der ersten Stunde des Tages befinden Sie sich wieder in der Probezeit.« Er ging entschlossen auf die Dielentür zu, drehte den Schlüssel zweimal im Schloss, schlug die Hacken zusammen und verzog sich, die Kerze in der Hand, in seine Wohnung.
Gaspard blieb lange reglos im Halbdunkel stehen, bevor er sich schweigend auszog und auf seinem Lager ausstreckte. Die Hände hinter dem Kopf verschränkt, starrte er zur Ateliertür, stellte sich vor, wie Billod den Schlüsselbund unter sein Kopfkissen schob. Er fühlte sich leer, erschöpft. Mit einer verriegelten Tür war es unmöglich, Etienne zu treffen. Er musste aber auch an die Unlust des Grafen denken, als er ihm seinen Wunsch, ihn wiederzusehen, zu verstehen gegeben hatte. Vielleicht wollte er nichts mehr von ihm wissen? Es war denkbar, dass ihn Gaspards Reaktion im Leichenschauhaus tief enttäuscht hatte. Was aber hatte er erwartet, was Gaspard ihm nicht zu geben imstande war? Er hatte sich lächerlich gemacht, trotzdem hatte Etienne ihm versprochen, ihm bei seinem Aufstieg zu helfen, ihn zu leiten. Um sich dann wieder hinter seiner Geringschätzung zu verschanzen, mit der er ihn schon zu Beginn des Abends gepeinigt hatte. Etienne war unbegreiflich, wie eine tosende Welle. Der Lehrling wusste nicht mehr, worauf er hoffen durfte. Billods Warnung paarte sich mit seinen Ängsten. Der Meister hatte es erraten: Als er ihm mit Entlassung drohte, hatte Gaspard insgeheim geglaubt, Etienne würde ihm Zuflucht gewähren. Hatte Billod nicht Recht? Welches Vertrauen konnte er denn in Etiennes Treue setzen? Würde er nicht, nachdem er ihn ohnehin schon schlecht behandelt hatte, eine Kehrtwendung machen und ihn verlassen, wenn er erfahren sollte, dass er nicht einmal fähig war, seine Lehre zu beenden? Gaspard wälzte sich im Bett hin und her. Trotz seiner Müdigkeit konnte er nicht einschlafen. Zu viele Fragen quälten ihn. Er fand keine Erklärung für Etiennes Verhalten, für diese Euphorie, auf die dann Verstimmung folgte. Was hatte dieses groteske Eindringen ins Leichenschauhaus zu bedeuten? Er hatte einen Teil seines Wesens offenbart, der Gaspard unbekannt war, ihm aber auch eine Lektion erteilt, aus der der Lehrling keine Konsequenzen zu ziehen wusste. Unsicher, von Zweifeln geplagt, beschloss der junge Mann, Billod und der Werkstatt nicht den Rücken zu kehren. Er wollte lieber vorsichtig sein, wusste nicht, wie weit Etienne ihn unterstützen würde, fühlte
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