Die Eule - Niederrhein-Krimi
ging zu von Aha, beugte sich zu ihm hinunter. »Mensch, du hast es gehört, kapier doch, wir ermitteln hier vor Ort und basta.«
Von Aha verschränkte seine Arme vor der Brust und schien zu schmollen. Plötzlich packte er seine Unterlagen zusammen und stand auf.
»Frau Krafft, hiermit nehme ich den freien Umzugstag und dazu einen freien Sonntag, ich muss mich einrichten, sonst kann ich meine Arbeitskraft nicht effizient regenerieren. Brauchen Sie einen schriftlichen Antrag? Bestimmt, mache ich gleich fertig. Gibt es vorgefertigte Formulare? Wo finde ich eins?«
Sie sah ihn lange und ruhig an.
»Verschwinden Sie schon. Ich erwarte Sie am Montag, pünktlich und effizient regeneriert.«
Sie wolle jetzt nichts dazu hören, sagte sie, nachdem der Neue den Raum verlassen hatte. Sie teilten sich die Aufgaben ein, dringlichste Stufe für die Überprüfung des Personals in Kevelaer und die Befragung des Versicherungsagenten Stricker. Sie verließen das Kommissariat mit der vagen Aussicht auf einen freien Sonntag. Wenn es am nächsten Tag gut laufen würde.
SIEBEN
23. Mai 1960, 21.35 Uhr
Der Verurteilte kauerte in einer Ecke der nur von einer trüben Funzel erhellten, komplett schallgedämpften Zelle. Die Worte des Majors klangen wattig, als sei es Absicht, die bittere Geschichte hier und nirgendwo anders zu erzählen. Als sei sie nur erträglich, wenn die gepolsterten Zellenwände die grausigen Details schluckten.
»Weißt du, du sitzt hier im Stasi-Gefängnis für Politische. Kriminelle und Verbrecher werden woanders inhaftiert, du bist ganz unten angekommen, du bist der letzte Dreck. Damit dir klar ist, dass du von vornherein nur politische Bedeutung für uns hattest. Zur Abschreckung. Deshalb haben wir die ganze Maschinerie in Gang gesetzt, dich aus dem Westen zurück in unsere Republik zu schmuggeln. Du magst darüber lächeln, weil es sich nach Spion und wie eine Spielerei anhört. Aber wir hatten den Auftrag, allen zu zeigen, dass wir uns als Stasi nicht düpieren lassen von einem, der einfach abhaut. Mit uns nicht, verstehst du, also haben wir ausgeklügelt, wie man dich holen kann. Der operative Vorgang ›Lump‹ begann – unser Ziel hieß offiziell ›Zurückführung des Republikflüchtigen‹. Das wurde alles sorgfältig bürokratisch verzeichnet.«
Der Verurteilte hörte zu, aber was er hörte, bewegte ihn nicht. Die Methoden, darüber war er sich klar, hätte er selbst angewendet, wenn er einen solchen Auftrag von der Staatssicherheit bekommen hätte. Professionell ist daran nichts auszusetzen, dachte er noch und erschrak über seine fast beifälligen, distanzierten Gedanken, als sei das Todesurteil in einem fernen Fall und nicht gegen ihn selbst ausgesprochen worden.
»Wir haben unsere Akten gewälzt und zwei schwere Jungs herausgefiltert, die wir für die Entführung einsetzen konnten. Die Stasi konnte nicht selbst im Westen einen der ihren herausfischen, stell dir vor, das wäre aufgeflogen! Wir benötigten Strohmänner, die gewannen wir in einer HO -Kneipe am Alexanderplatz in Berlin. Nennen wir sie N. und M. Der eine war ein verschlagener, trickreicher Typ, der andere für sich einnehmen konnte. Leider besaß er keinen Führerschein, deshalb zog er seinen wegen kleinerer Delikte vorbestraften Kumpel in die Sache hinein. Mit der Aussicht auf eine ordentliche Summe war der schnell bereit, einzusteigen. Herr M. mietete in Westberlin einen Opel Kapitän. Als Heinz-Bernd M., Berlin-Steglitz, Charlottenburger Straße 12, zahlte er fünfhundertneunzig Mark an. Wir lieferten gefälschte Ausweise. Zur Reise über die Transitstrecke nach Helmstedt gab’s für Benzin, Reparaturen und Spesen noch einmal fünfhundert Mark auf die Kralle. Sollte es Ärger geben, stand Herrn N. eine Pistole FN , Kaliber 7,65, mit acht Schuss Munition zur Verfügung. Wir hatten ihnen gesagt, eine Frau sei vor Ort ebenfalls an der Aktion beteiligt, dich zu holen. Und wir hätten immer ein Auge auf sie. Wo du wohntest, wussten wir ja. Du hattest dich korrekt angemeldet. Eine Abmeldung ist nicht verzeichnet, heißt es in der Einwohnermeldekartei. Wie auch!«
Der Major hielt bedeutungsvoll inne. Niemand durfte je erfahren, was er hier einem verurteilten Staatsfeind berichtete. Er beugte sich herab zu dem kauernden Häufchen Elend und senkte die Stimme.
»Dein Ende stand schon fest, als wir die ersten Fäden des Netzes spannten, in dem du festhängen solltest. Wir haben deine Tochter, ja, deine geliebte Lilli, benutzt, damit du
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