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Die Eule - Niederrhein-Krimi

Die Eule - Niederrhein-Krimi

Titel: Die Eule - Niederrhein-Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate Thomas u Wirth Hesse
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wieder rückwärts rübermachst. Sie hat uns geholfen, wir haben ihr gute Gründe dafür gegeben. Du weißt ja, das beherrschen wir.«
    Der Verurteilte riss die Augen auf, ein leichtes Stöhnen entrang sich seinem geschundenen Körper. »Nein, nicht auch noch Lilli. Ihr seid grausam, sie ist eine junge Frau, gerade einundzwanzig, sie weiß nicht, welches Spiel ihr treibt.«
    »Stimmt, das wusste sie nicht, ahnte es bestenfalls. Aber sie wusste, dass ihr Verlobter bei der Volkspolizei war. Genauer bei der ›Kasernierten Volkspolizei Luft‹. Da wäre es schädlich gewesen, einen Republikflüchtling in der Familie zu haben. Weißt du, da benötigt man nicht viele Erklärungen, manchmal kommt die Einsicht, uns zu helfen, durch die besonderen Umstände ganz von alleine. Deine Tochter bot sozusagen ihre Unterstützung an.«
    Der Major sinnierte, als habe er eine schwere Entscheidung zu fällen. Dann sagte er: »Oder warum glaubst du, hat Lilli dir ein Telegramm geschickt? ›Treffe ein Dienstag, 11.07 Uhr, Duisburg Hauptbahnhof. Gruß‹. Du erinnerst dich an den Wortlaut? Damit war dein Todesengel unterwegs.«
    Als könne er das Böse mit einer Banalität zu einem normalen Vorgang machen, fügte er hinzu: »Die acht Wörter kosteten laut DDR -Gebührenordnung für den Verkehr nach Westdeutschland vier Mark. Ich habe den Beleg abgeheftet. Ordnung muss sein.«
    Der Verurteilte drohte für einen Moment zur Seite zur kippen, der Major rüttelte ihn energisch.
    »Mach jetzt nicht schlapp, du wolltest die Geschichte hören. Wir können unsere Sondersitzung auch beenden, das ist sowieso sicherer für mich. Ich weiß gar nicht, wieso ich dir Klarheit geben will. Vielleicht mach ich das eigentlich für mich, aber wenn es nicht weitergeht, geht es eben nicht.«
    Der Verurteilte blickte desorientiert hoch wie nach einer kurzen Ohnmacht. Doch, doch, doch – erzähle weiter, ich muss einen Abschluss finden, wollte er schreien. Nur ein brüchiges, abgehacktes Wort brachte er zustande: »Weiter!«
    »Du hattest begonnen, dich im Westen zu etablieren. Du hast dich gefreut auf deine Tochter, aber du warst vorsichtig genug, sie nicht am Duisburger Hauptbahnhof abzuholen. Ihr habt euch in einer Bar an der Königstraße mitten in der Innenstadt verabredet. Es war für dich einfach, du warst in einer psychologisch schwierigen Situation. Die Staatssicherheit hatte als Faustpfand deine Familie, deine zwar geschiedene Frau, aber auch deine Kinder waren im Osten geblieben. Es hat dich nervös gemacht, dass Lilli nun wie eine Sendbotin deiner Vergangenheit erschien. Du wolltest vorsichtig sein, bevor du sie in deine Wohnung einlädst. Dem ausgeflogenen Vogel die Leimrute in einer Bar auszulegen war geschickt. Alkohol war schon immer dein Problem, in Bierlaune hast du gerne von Stasiangelegenheiten erzählt. Lilli wusste es, und wir wussten es auch. Also hat sie deinen Vorschlag, die Bar in der Innenstadt zu besuchen, aufgenommen.«
    Der Major schaute sein Gegenüber kontrollierend an. Das sah kurz auf, nickte schwach als Aufforderung, weiterzuerzählen.
    »Dann ist sie unter einem Vorwand raus aus der Bar, hat den wartenden M. und N. erzählt, dass es nichts würde mit einer freiwilligen Rückkehr ihres Vaters in unsere Republik. Also griff Plan B. Sie brachte dich und die beiden nun am Nebentisch sitzenden Spezln zusammen. Ihr habt gezecht bis um vier Uhr früh, dann ging’s zum Auto. Du warst sturzbetrunken und hast auf der Rückbank gleich ein Nickerchen eingelegt. Genauer gesagt einen langen, tiefen Schlaf. Statt zu deiner Wohnung in Duisburg ging es stramm gen Osten. Bist du zwischendurch mal hochgefahren, hat dich deine Tochter mit einem ›Alles wird gut‹ wieder in den Schlaf beruhigt.«
    Schmerzlich und gedankenklar erkannte er den Verrat seiner Tochter, seiner kleinen, geliebten Lilli, ausgetrickst durch das perfide Spiel der Stasi. Sie hatten ihn mit viel Alkohol abgefüllt, ihn, das kleine unwichtige Licht, aber wichtig genug, um als Warnung den zum Tode verurteilten Staatsfeind zu geben. Die doppelte Erkenntnis traf ihn wie ein Schlag. Er war Mittel zum Zweck in einem abgekarteten Spiel gewesen, und ausgerechnet sein Kind war darin die abgefeimteste Verräterin von allen. Es war wie der Gang zu einem anderen Schafott schon vor der Exekution.
    * * *
    11. Mai 2010
    Es gibt Tage, die sucht man sich nicht aus. Man wird von ihnen ausgesucht, dachte Gero von Aha, als er missmutig an diesem Samstag erwachte. Er blickte auf das

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