Die Eule - Niederrhein-Krimi
trotzdem dicht besetzt.
»Der Mann ist der Vater des Versicherungsagenten, der ebenfalls Mitglied in der Sekte ist und dessen Angestellte sich als mutmaßliche Erpresserin entpuppte. Wichtig an dem Ganzen ist der Name Stricker. Das ist der Geburtsname der Sektenführerin, es ist der Name des Versicherungsagenten und dementsprechend auch der Geburtsname des Diakons.«
»Hat er jetzt den Namen seiner Frau angenommen?«
»Genau, deshalb blieb uns der Zusammenhang bis jetzt verborgen. Der Diakon könnte also mit der sogenannten Con verwandt sein.«
»Wenn es so wäre, was würde das bedeuten?«
Am Marktplatz stiegen sie ab und schoben die Räder. Es wirkte immer noch fremd, den kleinen Platz unter den Platanen zugeparkt zu sehen. Dafür bildete nun der neu gestaltete, große Marktplatz den glanzvollen Mittelpunkt der Stadt.
»Wenn es Zusammenhänge zwischen dem Geistlichen und Con gibt, dann haben beide es bis heute verschwiegen. Ich frage mich, warum, denn niemand hätte dadurch offensichtliche Nachteile.«
Hannah juchzte vor Begeisterung. Nicht die Aussicht auf ein Eis schürte ihre Freude, sondern am Rand des Norbertbrunnens mit den Fingern im Wasser planschen zu können. Seit sie auf eigenen Beinen durch die Welt wackelte, brauchten ihre Eltern stets einen freien Tisch in Brunnennähe.
»Noch etwas ist merkwürdig. Wir beide haben uns nächtelang unsere Geschichten erzählt, wo wir geboren wurden und aufwuchsen und wer uns da wichtig war und so.«
»Das ist doch ganz natürlich, dass man Einzelheiten aus dem Leben des anderen kennt, oder?«
»Das sagst du so einfach. Für uns ist das selbstverständlich. Die Frau des Diakons verfügt erstaunlicherweise über ganz gewaltige Lücken. Eigentlich kennt sie nur seinen Werdegang, seit er in Kevelaer in die Lehre ging. Die erste Ehe, der Sohn Alexander, der Tod seiner Frau, sein Engagement in der Kirche und seine Ausbildung zum Diakon, all das kennt sie. Ich glaube, sie hat sich bis heute keine Gedanken darüber gemacht, dass es davor ungefähr zwanzig Jahre im Leben ihres Mannes gibt, von denen sie nichts weiß. Das ist ihr richtig bewusst geworden, man konnte zuschauen, wie sie in ihrem Gedächtnis nachsuchte und nichts fand. Es gibt wohl auch keine Fotos aus der Zeit, und die Unterlagen wie Stammbuch mit den persönlichen Familiendaten hat er unter Verschluss. Sie hätte es nie gebraucht und deshalb auch nie nachgefragt.«
»Klingt schon ein bisschen naiv, oder?«
Hannah lag schon mit dem Bauch über dem Brunnenrand und schnippte ins Wasser.
»Sag nicht naiv, vielleicht hat sie ihm einfach vertraut. Es gibt auch heute noch Ehen, in denen eine strikte Aufgabenteilung herrscht. Vielleicht ist ihr Leben so reich an Gesprächsstoff und Themen, dass es bislang keinen Grund für Geschichten aus der Kindheit gab.«
Maarten schüttelte den Kopf. »Nee, meine Liebe, wie oft fragst du, ob ich dies oder das als Kind schon erlebt oder gesehen habe. Die Erinnerungen sind doch allgegenwärtig. Wenn du einen Gänseblümchenkranz für unsere Tochter flichtst, dann hast du das als Kind gelernt, und wenn ich ihr ein Schiff aus einem großen Blatt baue oder Seifenblasen anmische, dann sind das Bauanleitungen und Rezepte aus meiner Kindheit. Man nimmt doch die Dinge mit und gibt sie an eigene Kinder weiter. Nee, nee, ich glaube, der Mann hat seine Kindheit bewusst gekappt.«
»Warum sollte man das machen?«
Hannahs Freude sprang über auf andere Kleinkinder, ein Junge lehnte neben ihr auf der Umrandung, gemeinsam spritzten sie Wasser an die Säule in der Mitte des Beckens. Andere Kinder wurden von Eltern mit strengen Blicken und laut verkündeten »Bahs«, »Iihs« und »Neins« zurückgeholt, was lautstarken Protest zur Folge hatte.
»Schau zum Brunnen. Die beiden da dürfen experimentieren, miteinander in Kontakt treten, die haben Spaß und Freude. Die zwei dahinten müssen stillsitzen, da nützt auch das Gebrüll nichts, keine Freude, kein Spaß. Die sehen nicht vernachlässigt aus, aber die Eltern haben eine andere Vorstellungen von Erziehung.«
Die planschenden Kinder wurden belächelt, die immer noch heulenden mit genervten Mienen betrachtet. Maarten ließ seine These nicht mehr los.
»Ich glaube, es gibt gute Gründe, seine eigene Kindheit auszublenden. Vielleicht kommt der Mann als Diakon heute dem Himmel sehr nah, weil er als Kind die Hölle durchlebt hat.«
»Da könnte was dran sein. Aber wird man nicht dennoch von den Dämonen der Vergangenheit
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