Die Eule von Askir
noch immer in Eurem Zimmer lag. Ihr besitzt das Talent eines Maestros, Santer, sonst wärt Ihr nicht in der Lage gewesen, den Turm ohne die Münze zu betreten. Aber hier sitzt Ihr, in voller Größe.« Sie lachte leise, als sie seinen überraschten Gesichtsausdruck sah.
»Das ist nicht möglich. Ich habe so viel magisches Talent wie diese… diese Teeschale hier!«, antwortete Santer fassungslos. Und dennoch war das seine Münze, die dort lag…
»Der Turm irrt sich nicht«, sagte Desina leise. »Genau das Gleiche dachte ich auch von mir. Um den Turm zu betreten, braucht man eine solche Münze oder muss das Talent eines Maestros besitzen. Man darf kein Nekromant sein. Andere Türen öffnen sich nur, wenn man den Eid geschworen hat. Mehr Möglichkeiten gibt es nicht. Seit Jahrhunderten versucht man in den Eulenturm zu kommen, nur um Zugang zu den Archiven der Eulen zu erhalten. Alles war vergeblich, der Turm schützt seine Geheimnisse zu gut. Glaubt mir, Santer. Wenn Ihr ohne die Münze imstande seid, diesen Turm zu betreten, dann seid Ihr eine Eule.« Sie schaute ihn mit ihren grünen Augen an, während ihr Lächeln immer strahlender wurde. »Zwölf Jahre habe ich darauf gehofft, dass endlich jemand durch diese Tür hereinkommt und ich nicht mehr allein bin, Santer. Zwölf Jahre habe ich hier in diesem Turm die Bücher studiert, ohne eine menschliche Stimme zu hören. Und gestern Nacht, als ich zu meinem Quartier hochging, dachte ich, dass ich es gern gehabt hätte, wenn Ihr mir hättet folgen können.« Sie lachte laut auf und schüttelte den Kopf, als sie seinen Blick bemerkte.
»Nein, daran habe ich nicht gedacht! Es gibt dort oben einfach nur gemütliche Räume, wo man sitzen kann und über den Tag reden oder über Dinge, die nur die Maestros vom Turm wissen. Ich weiß gar nicht, wie oft ich etwas in den alten Texten fand und es mir in der Seele brannte, mit jemandem darüber zu sprechen, Dinge zu diskutieren, gemeinsam mit jemand anderem den Geheimnissen auf die Spur zu kommen, die diese Mauern so überreichlich bewahren.« Sie nahm die Münze wieder an sich und sah ihn direkt an. »Santer, Ihr werdet nie wieder eine Seeschlange sein. Ihr seid eine Eule. Deswegen hat mir mein Gefühl aufgetragen, Euch zu meinem Adjutanten zu machen und in den Turm zu holen.« Sie hob die Hand, als er den Mund öffnete. »Sagt, was Ihr wollt, Santer, doch spart es Euch, diese Tatsache verneinen zu wollen. Ihr besitzt das Talent eines Maestros, ob es Euch gefällt oder nicht. Dieser Turm wird uns an sich binden, bis wir vor Soltars Toren stehen. Das ist so, und weder ich noch Ihr können etwas daran ändern.«
Santer schüttelte protestierend den Kopf. »Ich bin keine Eule. Das ist nicht möglich«, beharrte er ungläubig.
»Sagte ich nicht eben gerade, dass Ihr Euch diese Worte sparen könnt? Ihr seid fast so stur wie jemand anders, den ich kenne.«
»Müsste ich dann nicht auch das sehen, was Ihr seht? Diese Ströme der Magie?«
Sie schmunzelte. »Denkt Ihr, es ist einfach so da? Nein, Santer, es ist etwas, das Ihr lernen müsst. Wie ein Kind lernt zu verstehen, was es sieht. Ich fürchte, Ihr werdet so viel lernen müssen, dass Ihr den Tag verflucht, an dem Ihr mich kennengelernt habt.«
Er seufzte, schüttelte den Kopf und lächelte. »Das bezweifle ich allerdings.«
»Das war nett gesagt, aber wir werden es ja sehen.«
»Was geschieht jetzt?«, fragte er. Egal was sie sagte, allein der Gedanke, dass er ein Maestro sein könnte, kam ihm derartig fremd vor, dass er immer noch geneigt war zu glauben, dass sie sich täuschte. Aber sie schien felsenfest davon überzeugt.
»Für den Moment? Wenig. Ihr habt den Vorteil, dass Ihr die Dinge nicht selbst herausfinden müsst. Ich kann Euch viele meiner Irrtümer ersparen. Dennoch wird es nicht möglich sein, Euch einfach so beizubringen, wie Ihr Euer Talent nutzen könnt. Ich denke, dass Ihr das, was ich in zehn Jahren gelernt habe, in zwei bis drei Monaten lernen könnt. Und ab dann werden wir gemeinsam herausfinden müssen, wie es weitergeht. Aber vorerst werden wir niemandem mitteilen, dass auch Ihr das Talent eines Maestros besitzt.«
»Warum?«, fragte er. »Warum nicht?«
Sie musterte ihn mit ihren Katzenaugen. »Weil ich das Gefühl habe, dass es so besser ist.«
Für jemand anderen wäre diese Antwort nicht ausreichend, für Santer schon. Er hielt viel von diesem Gefühl, diesem Instinkt, der ihm schon oft genug das Fell gerettet hatte.
»Allerdings, Santer,
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