Die Eule von Askir
zu glauben, dass Ihr ein Kindermädchen braucht.«
Sie lachte wieder. »Santer, ich glaube, wir werden gut miteinander auskommen.« Sie wurde wieder ernst. »Eins solltet Ihr wissen. Ich bin weder zerbrechlich noch naiv. Bevor ich zum Turm kam, wuchs ich im Hafen auf. Ich war eine Hafenratte.«
»Ich weiß«, sagte Santer und grinste nun selbst. »Es hat eine Weile gedauert, aber ich habe Euch doch erkannt… nur nicht als die Maestra. Ich erinnere mich an ein verhungert aussehendes kleines Mädchen, das Istvan und mir mit großen Augen beim Shah zusah und nach der Partie darauf bestand, jeden einzelnen Zug zu kommentieren.«
»Götter!«, sagte Desina und lachte. »Ich erinnere mich auch! Ihr wart das? Wisst Ihr, dass Istvan seit Jahren auf die Revanche wartet?«
»Bei Gelegenheit wird er sie bekommen.« Santer schüttelte ungläubig den Kopf. »Wenn die Haare und die Augen nicht wären, hätte ich Euch nicht erkannt, Maestra. Die Wege der Götter sind seltsam. Hättet Ihr damals gedacht, dass Ihr irgendwann meine Vorgesetzte werden würdet?«
»Nein«, antwortete sie. »Wenn ich mich richtig erinnere, wart Ihr damals auch nur halb so groß wie heute.«
»Ich war ja auch nur ein paar Jahre älter als Ihr.«
Sie sah auf ihr Frühstück herab und nahm die Tasse in die Hand. »Werdet Ihr damit Probleme haben, dass ich jetzt Eure Vorgesetzte bin?«
Santer lachte und schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht. Solange es vernünftige Befehle sind, die ich bekomme.«
»Ich bin eine Maestra, deshalb trage ich den Rang eines Stabsmajors. Aber mir fehlt jegliche militärische Erfahrung. Das ist genau der Grund, weshalb ich einen Adjutanten brauche. Ich sage Euch, was ich will und brauche, und Eure Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass ich es bekomme.« Sie beugte sich vor und sah ihn ernst an. »Wir haben einen Nekromanten in der Stadt. Unsere Aufgabe ist es, ihn zu finden. Im Moment kann es keine wichtigere Aufgabe geben. Ich bin Stabsobrist Orikes unterstellt und dieser dem Kommandanten. Jeder andere ist verpflichtet, unseren Weisungen zu folgen, bis dieser Nekromant vernichtet ist.«
Santer pfiff leise durch die Zähne. »Also kann ich zum nächsten Stabsobristen gehen und ihm befehlen, mir die Schuhe zu putzen?«, fragte er.
Sie lachte, wurde aber schnell wieder ernst. »Solange Ihr mir, Orikes oder dem Kommandanten erklären könnt, wie das uns helfen soll, einen Nekromanten zu finden. Wenn dies Euch gelingt, ay, Santer, dann könnt Ihr genau das tun.«
18
»Die Bardin Taride, Ser?«, fragte einer von den Seeschlangen, den Tarkan nach der Bardin gefragt hatte. »Die kennt hier jeder. Ihr findet die Sera dort drüben hinter den hohen Kisten.«
»Wie erkenne ich sie?«, fragte Tarkan.
Beide Soldaten lachten. »Ser, Ihr werdet keine Mühe haben, sie zu erkennen«, meinte der eine. »Der Götter Schutz mit Euch.«
»Und mit Euch«, antwortete Tarkan höflich und ging weiter. Während am frühen Morgen alles still und leer dagelegen hatte, herrschte jetzt auf der breiten Straße um den Hafen dichtes Gedränge. Überall waren die großen Kräne in Bewegung, schwenkten schwere Lasten in Netzen über die Köpfe der Menschen hinweg, Menschen jedweder Nation, ob groß und blond wie die Männer und Frauen aus den Varlanden, oder zierlich, mit brauner Haut und schwarzgelockten Haaren, ob reich und arm, jung oder alt: alles drängte sich durch und an den Ständen des Weichmarkts vorbei. Bäcker und Fleischer priesen ihre Waren an, alte Frauen hielten flatternde Hühner hoch, damit auch jeder sehen konnte, wie gut genährt sie waren. Dort verkaufte ein alter Mann Talismane, die gegen jedwedes Gebrechen schützen sollten, und dort oben, gute vier Mannslängen über den Köpfen der Menschen, führte eine Akrobatin ihre Kunststücke vor. Tarkan vermutete, dass sie die Gaffer weniger ihrer Kunst als den weiten Kleidern verdankte, die immer wieder kurze Blicke auf einen wohlgeformten Körper zuließen. Vom Hafen her wehte eine leichte Brise, und es war kalt an diesem Morgen, der Himmel noch immer bewölkt und trübe. Tücher und Kleider, Rollen von Seide, Hüte und Umhänge, Stiefel und Gürtel… Alles, was man tragen oder essen konnte, wurde auf dem Weichmarkt angeboten.
Als er in die Richtung weiterging, in die ihn der eine Soldat geschickt hatte, hörte er schon über den Lärm des Hafens hinweg eine Stimme, die zum Klang einer Laute eine alte Ballade sang.
Als Tarkan um die Kisten herumging, sah er
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