Die Eule von Askir
beleidigen.« Er musterte den jungen Mann mit den beunruhigend intensiven blauen Augen. »Wie habt Ihr herausgefunden, dass er der Dieb war?«, fragte er neugierig.
Der Markt war voll von Menschen, und wenn der junge Aldaner den Diebstahl nicht sofort bemerkt hatte, woher wusste der Mann dann, dass es der Junge war, der ihn um seinen Beutel erleichtert hatte?
»Ich denke, ich verzichte darauf, Euch zu beleidigen«, sagte der Aldaner. »Was Eure Frage anbelangt, ich besitze ein ausgesprochen gutes Gedächtnis.« Sorgsam verstaute er seinen Beutel wieder, diesmal innerhalb seines Wamses. »Es nützt mir nicht immer etwas. Ich wurde vor den Taschendieben hier gewarnt. Die Warnung habe ich nicht vergessen, wohl aber, darauf zu achten.« Er sah zu Santer hoch. »Sagt, Ihr kennt sicherlich viele Leute hier im Hafen, nicht wahr, Leutnant?«
»Viel zu viele, die ich gar nicht kennen will«, antwortete Santer und betrachtete den jungen Adligen nachdenklich. »Wen sucht Ihr denn?«
»Eine Bardin, die den Namen Taride trägt. Ich habe gehört, sie sei ausgezeichnet.«
»Das ist sie. Eine Stimme wie eine Glocke aus reinstem Glas. Sie ist einfach zu finden. Jeder kennt sie«, antwortete Santer. »Ihr findet sie oft hier am Hafen. Versucht es mit dem Platz vor der Registratur, dort spielt sie ab und zu für die Menge auf.«
»Dann werde ich mal hingehen und schauen, ob ich sie finden kann«, sagte der Fremde. »Verzeiht meine Neugier, Ser, aber Stabsleutnant ist ein hoher Rang, nicht wahr? Wie kommt es, dass Ihr hier am Markt Dienst tut?«
»Ich habe keinen Dienst.« Santer lächelte. »Es war Zufall. Ich bin auf dem Weg zur Zitadelle und habe mir auf dem Weg nur einen Dolch gekauft.«
»Also war meine Rettung eine glückliche Fügung. Habt Ihr etwas dagegen, wenn ich Euch mit einem Schluck Wein danke?«, fragte der Aldaner höflich.
Santer sah hoch zur Sonne, er hatte zwar noch etwas Zeit, aber auch nicht mehr allzu viel. »Vielleicht ein anderes Mal«, schlug er vor, und der Aldaner nickte.
»Vergesst es nicht«, sagte er. »Ich schulde Euch etwas.«
Mit einem letzten Nicken verabschiedete sich Santer und machte sich auf den Weg. Zwar hatte er noch Zeit, aber es konnte nicht schaden, etwas früher zu erscheinen.
Kurz bevor er das Korntor passierte, hielt er an einem Schrein Borons inne, und warf dort ein Silberstück in die Schüssel. Der Priester dankte es ihm mit einem Lächeln und einem Segen.
17
Die Silberne Schlange war ein großes Wirtshaus und allem Anschein nach ein gutgehendes. Kein Wunder, wenn man bedachte, wie viele durstige Kehlen in der Zitadelle Dienst taten, dachte Santer, als er die Tür zum Schankraum aufstieß. Einen Moment stand er im Eingang, um sich an die Dunkelheit zu gewöhnen. Der Raum allein war schon groß genug, um einer ganzen Lanze als Messhalle zu dienen. Vor ein paar Jahren war er schon einmal hier gewesen, abends, und wenn seine Erinnerung ihn nicht trog, war der Raum damals zum Bersten voll gewesen. Das Wirtshaus war ohne Zweifel eine Goldgrube. Durstige Soldaten gab es immer.
Aber jetzt nicht. Es herrschte gähnende Leere. Ein junges Mädchen, wahrscheinlich eine der Schankmägde, war mit einem Wischmopp zugange, eine andere junge Frau, ein zierliches, junges Ding mit langen kupferroten Haaren, saß an einem Tisch und aß dort ihr Frühstück, während sie gedankenverloren aus dem Fenster starrte.
Der Tisch, an dem die junge Frau saß, befand sich an dem einzigen offenen Fenster. Überall sonst war es Santer zu dunkel und zu muffig, und fragen kostete ja nichts.
»Guten Morgen, Sera«, sagte er höflich, als er an den Tisch der jungen Frau trat. Sie sah überrascht zu ihm hoch, verschüttete beinahe die Tasse Kafje, aus der sie gerade einen Schluck getrunken hatte. Dann schenkte sie ihm ein strahlendes Lächeln, als würde sie ihn kennen und wäre erfreut, ihn zu sehen.
Ein solches Lächeln kann der Sonne den Glanz stehlen, dachte Santer und lächelte amüsiert zurück. Nur schade, dass sie ihn offensichtlich verwechselte. Das geschah so selten, dass Santer unwillkürlich schmunzeln musste.
»Darf ich mich zu Euch an den Tisch gesellen?«
Jetzt, aus der Nähe, konnte er sie besser sehen. Sie trug ein einfaches Leinenkleid mit einem alten, bestimmt hundertmal gewaschenen, ausgebleichten Umhang aus ehemals grünem Leinen. Ihr langes kupferrotes Haar war nachlässig mit einem Lederriemen zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, aus dem ein großer Teil ihrer
Weitere Kostenlose Bücher