Die Eule von Askir
über vierzehn Jahren und diesem, dennoch war die Angst geblieben und ließ sich nur schwer zügeln.
Eine Hand berührte sie an der Schulter, und Santer musterte sie mit besorgter Miene.
»Was ist, Sera? Geht es Euch gut?« Der Stabsleutnant war lange still gewesen, für den Moment hatte sie ihn vollständig vergessen. Sie hätte nicht gedacht, dass sie ihre Gefühle so deutlich zeigte.
»Es ist nichts«, antwortete sie ihm und riss sich zusammen.
Sie hatten auch schon fast das Tor der Hafenwacht erreicht, die Seeschlangen dort salutierten, und der wachhabende Schwertsergeant musterte sie fragend. Dies war wohl kein geeigneter Zeitpunkt, der alten Angst zu erliegen.
Santer trat vor. »Die Maestra vom Turm und Stabsleutnant Santer für Schwertmajor Rikin«, sagte er.
»Wisst Ihr, ob Lanzenkorporal Karjan zurzeit Dienst hat?«, fügte Desina hinzu.
Der Schwertsergeant am Tor salutierte. »Der Götter Segen mit Euch, Maestra.« Dann grinste er Santer breit an. »Als ob ich Euch nicht kennen würde, Santer, oder nichts von der Maestra wüsste! Es hat sich wie ein Lauffeuer verbreitet, dass Ihr beide jetzt den Seelenreiter jagt.« Er warf dem anderen Soldaten nur einen Blick zu – der Mann hatte genug gehört und eilte hinüber zum Hauptgebäude –, anschließend wandte sich der Schwertsergeant wieder an die Maestra und Santer. »Lanzenkorporal Karjan hatte heute bis zum Morgen die erste Wache. Ich nehme an, er wird schlafen. Soll ich ihn wecken lassen?«
»Ich bitte darum. Er soll sich beim wachhabenden Offizier melden«, sagte Desina milde und sah fragend zu Santer hoch, der nur langsam den Kopf schüttelte. Auch er hatte nichts davon gewusst, dass es jetzt dieses Gerücht schon gab.
Der Schwertsergeant salutierte. »Es wird geschehen, Maestra!« Er machte eine Geste, und eine andere Seeschlange setzte sich in Bewegung um seinen Platz am Tor einzunehmen. »Wenn Ihr mir bitte folgen würdet, Sers.«
Desina nickte, und sie und Santer folgten dem Schwertsergeanten. Sie hatte bislang mehr mit den Bullen zu tun gehabt, also nutzte sie die Gelegenheit, sich umzusehen und ein Gefühl für die Seeschlangen zu bekommen, das nicht nur von der Angst, ertappt zu werden, herrührte.
Santer trug noch immer die Uniform der kaiserlichen Marine, leichte Lederstiefel, Hemd und Hose aus festem, dunkelgrünem Leinen, mit der leichten Rüstung aus gehärtetem Leder mit den charakteristischen sechs Wurfmessern über dem Herzen. Kein Grund, ihm abgesehen von seiner Größe hier besondere Beachtung zu schenken. Dennoch fiel Desina auf, dass Santer fast so viele neugierige Blicke erntete wie sie selbst, obwohl er hier bekannt war. Vielleicht gerade deswegen, dachte Desina amüsiert.
Jede Seeschlange war imstande, in voller Ausrüstung eine ganze Kerze lang zu schwimmen. Wie schwer das war, wusste Desina, das Gleiche hatte man auch von ihr verlangt. Sie konnte schon als Kind schwimmen und wusste nicht einmal mehr, wann und wie sie es gelernt hatte, aber in vollgesogenen Kleidern war es eine wirkliche Herausforderung. Während die Bullen auf ihre Kraft und Rüstung vertrauten, meist mit Langschwertern oder sogar Bidenhändern bewaffnet waren, war für die Seeschlangen Geschicklichkeit und Ausdauer höchstes Gebot. Üblicherweise trugen sie noch sechs bis acht Wurfmesser in einer Banderole über der Brust, schräg über dem Herzen, sowie ein Kurzschwert. Höhere Ränge verfügten auch über ein Rapier an der Seite. Jeder von ihnen konnte mit einer Armbrust, Wurfäxten und Enterhaken zumindest umgehen. Es gab immer mindestens eine Tenet aus Scharfschützen an Bord eines kaiserlichen Kriegsschiffs, und ihre Fähigkeit, selbst unter ungünstigsten Bedingungen und hohem Seegang sicher zu treffen, war wohl mit ein Grund dafür, dass die Reichsflotte diesen guten Ruf genoss.
Sie verstanden sich als Elitesoldaten und waren es sicherlich auch. Die Auswahlkriterien der Seeschlangen waren in mancher Hinsicht sogar höher als die Voraussetzungen, den Bullen beizutreten. Allein schon die Vorstellung, für lange Monde in ein Schiff eingesperrt, Wind und See so schutzlos ausgeliefert zu sein, ließ Desina frösteln.
Einer ihrer Ausbilder, Lanzenmajor Fredok, war eine Seeschlange, und sein höchstes Kompliment bestand darin, ihr mitzuteilen, dass sie etwas fast so gut konnte wie eine Seeschlange.
Ein anderer Unterschied war, dass die Disziplin der Seeschlangen im Vergleich zu den Bullen eher lax erschien. Dem war nicht so, es wurde nur auf
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